Forschungsstelle Neupietismus
Grundinformationen zum Neupietismus
Der Barockpietismus
Vorläufer des Pietismus
1. Das Zeitalter der Orthodoxie
Nach Beendigung der innerlutherischen Lehrstreitigkeiten durch die Konkordienformel 1577 konzentriert sich das Luthertum zunächst auf die genaue und ausführliche Lehrbildung. Es entstanden große Dogmatiken, die den evangelischen Glauben bis in alle Einzelheiten ausformulierten. Wichtigste Vertreter waren Johann Gerhard (1582 – 1637), Abraham Calov (1612 – 1686) und Johann Andreas Quenstedt (1617 – 1688) sowie der schließlich schon vom Pietismus beeinflusste David Hollaz (1648 – 1713). Besondere Bedeutung hatte für sie die gegenüber dem Katholizismus besonders herausgestellte Verbalinspirationslehre. In den Gottesdiensten wurde oft sehr polemisch gegen irgendwelche Irrlehren gepredigt, von denen viele Kirchgänger vorher noch nie etwas gehört hatten. Es kommt in dieser dritten und vierten Generation nach Luther vielfach dazu, dass der Glaube sich von Herz und Hand stark in den Kopf verlagert. Dennoch pflegten viele Vertreter der Orthodoxie auch eine tiefe persönliche Frömmigkeit (so z.B. der einflussreichste Theologieprofessor Johann Gerhard, der Liederdichter Paul Gerhardt oder selbst Johann Sebastian Bach)
2. Johann Arndt (1555 – 1621)
Die bedeutendste Persönlichkeit für die Frömmigkeitsentwicklung im 17. und 18.Jahrhundert in Deutschland und in gewisser Weise der Vater des Pietismusmus war Johann Arndt. Er war lutherischer Pfarrer in Quedlinburg, Braunschweig und Eisleben, bevor er 1611 nach Celle gerufen wurde und dort bis zu seinem Tod 1621 als Generalsuperintendent des Fürstentums Lüneburg wirkte. Von großem Einfluss wurden seine Vier Bücher vom wahren Christentum, die zwischen 1605 und 1610 erschienen sind. Sie erleben bis 1740 allein in Deutschland 95 Auflagen! Arndt geht es darin darum, dass die Lehre des Luthertums ins Leben verwandelt wird. Gläubige sollten zu einer tieferen Frömmigkeit und zu echter Glaubenspraxis im Alltag geführt werden. „Christus hat viele Diener, aber wenig Nachfolger“, so lautet ein bekannter Ausspruch Arndts. Äußerlich ganz in Übereinstimmung mit der lutherischen Lehre versucht Arndt in seinen Büchern die mystische Frömmigkeit des Mittelalters mit dem evangelischen Glauben zu verbinden. Dies brachte ihm den Vorwurf des Spiritualismus ein, also, dass er das äußere Wort der Bibel durch innere Offenbarungen ersetze. Doch vor allem die Unterstützung von Johann Gerhard ermöglichte ihm dennoch eine kirchliche Karriere.
3. Die Reformorthodoxie in der lutherischen Kirche
Arndt war nicht der einzige, der versuchte, die Rechtgläubigkeit des Luthertums und tiefe Frömmigkeit beieinander zu halten. In diesem breiten Strom der so genannten Reformorthodoxie gab es Theologen wie Johann Valentin Andreae (1586 – 1654), der sich um den Wiederaufbau der württembergischen Kirche nach dem 30-jährigen Krieg verdient gemacht hat, es gab einflussreiche Erbauungsschriftsteller wie Philipp Nicolai und Christian Scriver und radikale Kirchenkritiker wie Theophil Großgebauer, der in seiner Wächterstimme aus dem verwüsteten Zion (1661) die lutherische Kirche als Babel bezeichnet. Eine lange Wirkungsgeschichte entwickelten auch die theosophisch-mystischen Schriften von Jacob Böhme (1575 – 1624), einem Schuhmacher aus Görlitz. Er betonte die innere Wiedergeburt des Menschen und gab dem späteren schwärmerischen Pietismus wichtige Impulse. In seinen Visionen wird offensichtlich, wie der damalige Mensch sich über die theologischen Formeln hinaus nach unmittelbarer Gotteserfahrung sehnte.
4. Die Erneuerungsbewegung in der reformierten Kirche
Schon Calvin hatte eine stärkere Betonung auf den geheiligten Lebenswandel der Christen gelegt als das Luthertum. Dennoch erlebt auch die reformierte Niederlande zu Beginn des 17.Jh. zunächst eine Zeit der orthodoxen Lehrstreitigkeiten. Eine Gegenbewegung entsteht durch den Theologieprofessor Gisbert Voetius (1588 – 1676) in Utrecht, der massiv auf die Beachtung eines geheiligten Lebenswandels drängt und dabei dazu ganz genaue Verbotskataloge veröffentlicht. Dieser so genannte Präzisismus sollte den Pietismus in der Folgezeit immer wieder prägen. Voetius beginnt als einer der ersten die ernsthaften Christen zu separaten Versammlungen einzuladen, ohne die Volkskirche preiszugeben.
Der französische Jesuit Jean de Labadie (1610 – 1674) tritt zum reformierten Glauben über und wirkt als beeindruckender Bußprediger. 1666 wird er Pastor einer Gemeinde im friesischen Middelburg. Dort kommt es zu einer großen Erweckung und schließlich zur Gründung einer separatistischen Gemeinschaft, die in der Folgezeit ins Schwärmerische abgleitet und an verschiedene Orte flüchten muss. Im nordwestlichen Deutschland kommt es in der Gemeinde des reformierten Pfarrers Theodor Undereyck (1635 – 1693) in Mülheim/Ruhr als erstes zu Hausversammlungen neben dem Gottesdienst. Als Undereyck nach Bremen wechselt führt er dies auch dort gegen starke Widerstände ein. Die Mülheimer Gemeinde vermittelt später auch Gerhard Tersteegen (1697 – 1769) wichtige Impulse. Er wird der Hauptvertreter eines mystisch geprägten reformierten Pietismus mit teilweise starken separatistischen Tendenzen.
Philipp Jakob Spener (1635-1705)
1. Die Jugend in Rappoltsweiler (1635-1651)
Philipp Jakob Spener wird am 13.1.1635 (also mitten im Dreißigjährigen Krieg) im elsässischen Rappoltsweiler (Ribeauville) als erstes von 9 Kindern in eine orthodox-lutherische Familie geboren. Sein Vater ist Jurist des evangelischen Fürsten von Rappoltstein. Hier am Hof bekommt Spener eine höfisch-asketisch-fromme Grundprägung. Er liest Lewis Baylys Praxis Pietatis und Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum und wird ein ernsthaft frommer Lutheraner.
2. Studium in Straßburg (1651-1659)
Spener studiert zunächst drei Jahre lang Philosophie im vom 30-jährigen Krieg unberührten Straßburg. Er versucht in seiner Magisterarbeit die Ethik aus der natürlichen Theologie abzuleiten. Anschließend folgen sechs Jahre Theologiestudium in Straßburg im Geist der lutherischen Orthodoxie. Hier lernt er biblisch genaue Exegese, er eignet sich die lutherisch-orthodoxe Dogmatik an und vertieft die Verbindung zur Erbauungsliteratur von Arndt und Bayly.
3. Speners Bildungsreisen von (1659-1662)
Im Anschluss ans Studium waren damals Studienreisen an anderen Universitäten üblich. 1659 geht Spener zunächst für ein Jahr nach Basel um bei dem Hebraisten Johann Buxtorf den Talmud und das rabbinische Schrifttum besser kennen zu lernen. Buxtorf fördert in Spener die Ansicht, dass die einfache biblische Lehre einer scholastischen Dogmatik vorzuziehen ist. 1660/61 geht er nach Genf, wo er unter anderem Jean de Labadie begegnet. Spener ist von dessen Forderung einer Rückkehr zum biblischen Urchristentum sehr beeindruckt. In Lyon trifft er Claude-Francois Menestrier, den Vater der Heraldik (Wappenkunde). Durch ihn angeregt führte Spener die Heraldik in Deutschland ein. 1662 geht Spener nach Tübingen. In dieser Zeit lernt er das Buch „Wächterstimme aus dem verwüsteten Zion“ vom Rostocker Theophil Großgebauer kennen. Dieser fordert eine individuelle, datierbare Bekehrung mit Bußkampf und verwarf alle instrumentale Kirchenmusik. Spener bezeugte, dass Großgebauers Buch ihm die Augen für den Schaden der Kirche geöffnet hat.
4. Zurück in Straßburg (1662-1666)
Spener war hin- und hergerissen, ob er eine kirchliche oder universitäre theologische Laufbahn einschlagen sollte. 1663 wird er Freiprediger (d.h. ohne Kasualien und Seelsorge) am Straßburger Münster und promoviert schließlich 1664 schließlich zum Doktor der Theologie (was damals sehr selten war). Am 23.6.1664 feierte er seine Promotion und gleichzeitig (um Kosten zu sparen) seine Hochzeit mit der 20-jährigen Susanne Ehrhardt, mit der er 11 Kinder bekam. Die beiden blieben zunächst in Straßburg, um auf eine frei werdende Professur zu warten.
5. Senior in Frankfurt (1666-1686)
Im Juli 1666 wird Spener (mit 31 Jahren!) als Senior nach Frankfurt berufen, d.h. er sollte das Kollegium der zwölf Pfarrer leiten, welche die ca. 15.000 Lutheraner der Stadt versorgten. Ihm gelingt es die zerstrittene Frankfurter Situation gut zu einen. Im Zentrum seines Dienstes stand die Ausarbeitung von lebensnahen und praktischen Predigten in der Barfüßerkirche (heute steht dort die Paulskirche). Er beginnt neben den festgelegten Evangelienperikopen auch über die ntl. Briefe zu predigen. Spener erarbeitet einen Katechismus, der sehr praktisch ausgerichtet war und fördert die Einrichtung der Konfirmation. Er bringt den Frankfurter Magistrat 1679 dazu, ein städtisches Armen- und Waisenhaus einzurichten und setzt sich aus missionarischen Gründen für eine gute Behandlung der ca. 2000 Juden in Frankfurt ein. Er hilft dem Gedanken der Judenmission in Deutschland zum Durchbruch (an Heidenmission denkt er nicht). In den ersten 10 Jahren in Frankfurt liest Spener zum ersten Mal intensiv alle Lutherschriften und wird von ihm stark inspiriert. Diese starke Gründung in der Theologie Luthers gab Spener in der Folgezeit den Mut sich unter Berufung auf Luther für eine Erneuerung der lutherischen Kirche einzusetzen.
6. Die Collegia Pietatis
Im Sommer 1670 wird Spener von 4-5 theologisch gebildeten Männern gebeten, sich mit ihnen regelmäßig zum erbaulichen Gespräch zu treffen. Sonntags und Mittwochs traf man sich nun nach der kirchlichen Betstunde. Spener las aus einem Erbauungsbuch, kommentierte es und öffnete dann das freie Gespräch. Ziel war ein gegenseitiges Anspornen zur Frömmigkeit.
Die Einrichtung der Treffen war also keine planvolle Idee Speners. Gegen Ende des Jahres war der Kreis auf 20 Männer angewachsen, nach und nach verlagerte sich das Schwergewicht auf einfache, ungebildete Leute. 1674 ersetzte man die Lektüre durch das Studium von Bibeltexten, 1675 war der Kreis auf 50 Besucher angewachsen. Vorbilder für ein solches Treffen gab es kaum. Spener selbst beruft sich nur auf ein seit 1650 in Amsterdam bestehendes anerkanntes Kollegium.
7. Die Pia Desideria (1675)
Ein Frankfurter Verleger bittet Spener im Frühjahr 1675 um ein Vorwort zu einer Neuauflage von Johann Arndts Predigtsammlung. Spener wusste, dass sich dieses Buch weit verbreiten wird und er nutzt die Chance um in seinem Vorwort auf ca. 100 Seiten ein grundsätzliches Programm zur Kirchenerneuerung entwirft. Dieser Text weckt so starkes Interesse, dass er im Herbst als eigenes Buch erscheint, unter dem Titel: „Pia Desideria [dt.: Fromme Wünsche] oder Hertzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirchen“. Inhaltlich geht es um Folgendes:
Vorrede:
Angesprochen sind nicht die Laien, sondern die Pfarrer (kirchenleitenden Theologen), von ihnen soll die Veränderung ausgehen, in der Hoffnung auf Gottes Handeln
1. Teil: Diagnose:
Das geistliche Elend der drei Stände: Obrigkeit, Theologen, Laien So werden sich weder Juden noch Katholiken zum wahren evangelischen Glauben bekehren!
2. Teil: Prognose:
Biblisch ist klar: Das Judentum wird sich bekehren (Rm 11), Babel = die kath. Kirche wird fallen (Offb 18-19). D.h. wir gehen herrlichen Zeiten entgegen! Lasst uns Juden bekehren, Rom schwächen und die evangelische Kirche auf die Zukunft einstellen! (Das ist Postmillennialismus!)
3. Teil: Therapie: Reformprogramm:
Bibelvertiefung durch Collegia Pietatis nach 1.Kor 14
Allgemeines Priestertum = Förderung der Mitarbeit von Laien
Tatchristentum (praxis pietatis)
Weniger Religionstreitigkeiten
Theologiestudiums-Reform durch vorbildliche Mentor-Professoren und durch Collegia Pietatis
Erbaulichere Predigten
Die ersten beiden Aspekte werden durch Luther gedeckt, die anderen vier durch Arndt. Einige typisch lutherisch-orthodoxe Reformanliegen sind weggelassen: Kirchenzucht, Sonntagsheiligung, Staat und Kirche. Als Spener merkt, dass die Pfarrerschaft nur sehr zögerlich auf sein Reformprogramm eingeht, konzentriert er sich ab Sommer 1675 noch stärker auf die Idee, dass einzelne willige Pfarrer ihre Kerngemeinde in Collegia Pietatis sammeln. Er beruft sich dabei jetzt auf Luthers Vorrede zur deutschen Messe von 1526 und prägt die Formel einer „ecclesiola in ecclesia“ (Kirchlein in der Kirche). Genau dies ist die eigentliche Geburtsstunde des Pietismus: die Abkehr vom volkskirchlichen Konzept durch die Einführung von innerkirchlichen Gemeinschaften von ernsthaften Christen.
8. Die Frankfurter Zeit nach den Pia Desideria (1675 – 1686)
Das Frankfurter Collegium Pietatis wuchs immer mehr, so dass es 1682 vom Pfarrhaus in die Barfüßerkirche verlegt wurde. Bei 200-300 Teilnehmern nahm das persönliche Element natürlich immer mehr ab, so dass sich die Gründungsmitglieder des Collegiums um Johann Jakob Schütz immer mehr distanzierten und einen eigenen Kreis im Saalhof gründeten. Die Saalhofpietisten hielten sich vom kirchlichen Abendmahl fern, so dass Spener nach langem Ringen 1685 auch selbst den Kontakt zu ihnen abbrach. Bei aller Offenheit für Mystik und Kirchenkritik sah Spener immer seinen Platz in der Kirche! Über Frankfurt hinaus kam es in den ersten 10 Jahren nach Erscheinen der Pia Desideria nur zu wenigen kleineren Umsetzungsversuchen. Spener war hauptsächlich damit beschäftigt Angriffe abzuwehren.
9. Oberhofprediger in Dresden (1686 – 1691)
1686 bekommt Spener den Ruf auf die bedeutendste Stelle des Luthertums als Oberhofprediger in Dresden. Äußerlich waren die Jahre dort ein Misserfolg. Ein Collegium Pietatis kann er nicht gründen, die Pfarrerschaft bleibt distanziert und am Ende kommt es zu einem großen Streit mit dem Kurfürsten. Was aus dieser Zeit blieb sind vor allem drei Predigtbände Speners, die Einführung des Katechismusunterrichts im ganzen Land und vor allem der Kontakt zu August Hermann Francke, der 1689 an der Universität Leipzig dem Pietismus zum eigentlichen Aufstieg verhalf.
10. Propst in Berlin (1691 – 1705)
1691 war Spener froh Dresden zu verlassen und ging nach Berlin. Als Propst von St.Nicolai sorgte er für eine staatliche Armenfürsorge und gewann die politische Führungsschicht für den Pietismus. Die Pfarrerschaft blieb auch hier eher ablehnend. Ein Collegium Pietatis gründete er nicht selbst (nur ein biblisches Collegium mit Theologiestudenten), aber unterstützte es. Entscheidend in dieser Phase war die Gründung der neuen brandenburger Universität in Halle. Spener gelingt es durch geschickte Professorenberufungen Halle zum Zentrum des Pietismus zu machen. Am 5.2.1705 stirbt Spener in Berlin und lässt sich in weißen Kleidern und einem weißen Sarg als Zeichen der Hoffnung auf bessere Zeiten beerdigen.
11. Bewertung Speners
Spener machte aus einer Arndtschen Frömmigkeitsbewegung eine kirchliche Reformbewegung
Spener führte die Theologie von philosophischer Bevormundung zurück zur Bibel
Die Betonung des allgemeinen Priestertums führte zu einer langanhaltenden Neubelebung des Gemeindelebens.
Damit passte sich das protestantische Christentum zugleich gut in den Indiviualisierungsschub der Aufklärung ein.
Spener konnte das Separations-Misstrauen nie richtig entkräften, weil er auch den Separatisten den lebendigen Glauben nicht absprechen wollte.
Spener hat kein Bekehrungserlebnis. Er steht noch ganz in der lutherischen Tradition, Anfechtungen auszuhalten. Erst bei Francke kommt es zum Durchbrechen im Gebetskampf. In dieser Bekehrungsfrage ist der Pietismus Francke statt Spener gefolgt!
Soteriologisch blieb Spener ganz in orthodoxen Bahnen, er verknüpfte nur Rechtfertigung und Wiedergeburt wieder stärker.
Spener gab damit dem Pietismus das Selbstbewusstsein, auf dem Boden der Reformation zu stehen und er hielt den lutherischen Pietismus innerkirchlich.
Spener gab dem Pietismus auch den Blick für die soziale Verantwortung mit auf den Weg.
Die Idee der Collegia Pietatis sollte in der Folgezeit der entscheidende Motor des Pietismus werden.
August Hermann Francke (1663-1727)
1. Die Jugendzeit in Lübeck und Erfurt
August Hermann Francke wird am 12.3.1663 in eine angesehene Juristenfamilie in Lübeck geboren. Als August 7 Jahre alt war, starb sein Vater und die Familie siedelte nach Erfurt über. Eine sehr fromme Großmutter übt einen prägenden Einfluss auf ihn aus. Mit zwölf Jahren liefert der Junge sein Leben Gott aus. Seine Lieblingslektüre sind Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum. Er ist hochbegabt und lernt schon vor dem Universitätsstudium Englisch, Französisch, Italienisch, Niederländisch, Latein, Hebräisch und Griechisch. Mit 16 beginnt er das Studium in Erfurt und geht nach einem Semester nach Kiel.
2. Francke in Leipzig
Nach einigen Studienjahren in Kiel und Hamburg geht Francke nach Leipzig, wo er seine Magisterarbeit über die hebräische Grammatik schreibt und nebenbei als Hebräischlehrer im Haus von Speners Schwiegersohn arbeitet. An der Universität gründet er ein Collegium philobiblicum, einen Kreis mit weiteren 7 Magistern, die sich regelmäßig in lateinischer Sprache wissenschaftlich über die Auslegung von Bibeltexten unterhalten. Im Frühjahr 1687 werden sie durch Spener selbst ausdrücklich darin ermutigt.
3. Franckes Bekehrung in Lüneburg 1687
Im Jahr 1687 geht Francke auf Veranlassung seines Onkels zur Vertiefung seiner biblischen Studien nach Lüneburg. Dort gerät er aus Anlass einer Predigtausarbeitung über Joh 20,31 in eine existenzielle Krise. Nach acht Jahren Theologiestudium scheint ihm sein Glaube unter den Fingern zu zerrinnen. Er zweifelt an der Echtheit seines Glaubens, der Existenz Gottes und am Absolutheitsanspruch des Christentums. Als er in dieser Situation Gott um Hilfe anfleht, erlebt er ganz plötzlich eine völlige Wandlung. Er wird überströmt von Freude und tiefem Vertrauen in Gott. „… denn wie man eine Hand umwendet, so waren alle meine Zweifel hinweg.“ Drei Jahre später veröffentlicht er einen Bericht über dieses Bekehrungserlebnis, der in der Folgezeit von vielen Pietisten als vorbildhaftes Modell für eine echte (plötzliche und datierbare) Bekehrung angesehen wurde. Franckes Bekehrung trägt dabei typisch neuzeitliche Züge. Er ist bewegt von der Anfechtung des Atheismus und vom Pluralismus der Religionen. Gewissheit erhält er durch eine persönliche Erfahrung.
4. Aufbruch in Leipzig
Nach seiner Rückkehr aus Lüneburg geht Francke 1689 zunächst für zwei Monate zu Spener nach Dresden. Hier bekommt seine Wiedergeburtserfahrung ein festes Fundament und kirchengeschichtlich gesehen übernimmt er direkt von Spener die Fackel des Pietismus. Danach kehrt er nach Leipzig zurück um an der dortigen Universität in neuem Geist und in deutscher Sprache biblische Vorlesungen zu halten. Francke bekommt riesigen Zulauf, während gleichzeitig die Hörsäle der orthodoxen Professoren gähnend leer bleiben. Franckes Freund Johann Caspar Schade hält sogar deutschsprachige Erbauungsstunden an der Universität, zu denen auch einfach Leute aus der Stadt in Massen strömen. Nun werden die Anhänger der neuen Bewegung zum ersten Mal „Pietisten“ genannt. Doch schon bald wird die pietistische Bewegung unterdrückt und die Dozenten werden aus der Stadt verwiesen. Francke selbst übernimmt ein Pfarramt in Erfurt und hält dort auch an der Universität zwei Vorlesungen. Nach anderthalb Jahren wird aber auch dort der Widerstand so groß, dass er im September 1691 Erfurt verlassen muss. Francke sucht in dieser Situation wieder den Kontakt zu Spener und wohnt und lehrt sieben Wochen lang bei ihm in Berlin.
5. Pfarrer in Glaucha
Durch Vermittlung Speners kann Francke dann an der neugegründeten Universität Halle einen Lehrstuhl für griechische und orientalische Sprachen besetzen. Daneben übernimmt er am 7.2.1692 ein Pfarramt in dem kleinen verarmten und verwahrlosten Dorf Glaucha bei Halle. Von den 200 Häusern des 800-Seelen-Dorfes sind 37 Gastwirtschaften. Nach zwei Jahren begann er 1694 damit, dass übliche donnerstägliche Almosenverteilen an die Armen mit einer viertelstündlichen Katechese im Pfarrhaus zu verknüpfen. Allmählich erkannte Francke, dass die Armut in seinem Dorf vor allem mit dem erschreckend geringen Bildungsstand zusammen hing, da es keine allgemeine Schulpflicht gab. Als er eines Tages eine größere Spende für die Armen erhielt, reifte in ihm der Entschluss, eine eigene Armenschule zu gründen. Er stellte einen Studenten an, der ab Ostern 1695 die armen Kinder täglich zwei Stunden unterrichtete. Die Idee schlug so ein, dass im Sommer des Jahres schon 50-60 (nicht nur arme!) Kinder zusammen kamen, die täglich fünf Stunden Unterricht erhielten.
6. Die Gründung des Waisenhauses 1695
Francke wurde vor allem berühmt durch die Gründung seines Waisenhauses und der daraus sich ergebenden „Glauchaschen Anstalten“, die seit Ende des 18.Jhs. „Franckesche Stiftungen“ genannt werden.
Zur Gründung kam es, weil Francke im Laufe des Jahres 1695 bewusst wurde, dass der tägliche Unterricht an den Kindern kaum Veränderungen bewirken konnte, wenn sie danach wieder in ihre verwahrloste Umgebung zurückkehrten. Deshalb sammelte er Spenden, kaufte im Oktober 1695 ein Haus in der Nachbarschaft, nahm 12 Waisenkinder auf und stellte den Theologiestudenten Georg Heinrich Neubauer als ihren Aufseher, Verwalter und Geschäftsführer ein. In der Folgezeit bot Francke armen Theologiestudenten kostenlose Essensversorgung im Waisenhaus, wenn sie dafür etwas mitarbeiteten. So hatte er einen großen Pool an preiswerten Lehrkräften.
Neben der Armenschule wurde schon ab Pfingsten 1695 ein Pädagogium eingerichtet, in dem Adelige und kommende Führungspersönlichkeiten auf ihre Laufbahn vorbereitet wurden. 1697 kam noch eine Gelehrtenschule dazu, die auf das Universitätsstudium vorbereitete. Dort wurden auch begabte Waisenkinder aufgenommen. Als die Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten entschloss sich Francke zu einem großzügigen Neubau, der von 1698-1701 errichtet wurde.
Die Arbeit bekam nun viele staatliche Privilegien und Francke wurde 1698 auch zum Professor der Theologie ernannt.
Im Jahr 1701 verfasste Francke einen Bericht über die Entstehung der Anstalten mit dem Titel: „Die Fußstapffen Des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen Gottes zur Beschämung des Unglaubens und Stärckung des Glauben“. Die Arbeit lebte durch den ständigen Zufluss von Spenden und blieb damit ein „Glaubenswerk“. Bei Franckes Tod 1727 lebten in den Glauchaschen Anstalten 2234 Kinder (wovon allerdings nur 137 Waisen waren) und 106 Lehrkräfte.
7. Franckes Pädagogik
In pädagogischer Hinsicht bieten die Franckeschen Anstalten ein ambivalentes Bild. Begabtenförderung und hohe Effizienz in der Vermittlung von Wissen und mancherlei Fähigkeiten, auch technischer Art, waren die eine Seite, pausenlose Beschäftigung und lückenlose Kontrolle die andere. Es gab kaum Prügelstrafen, aber die Nötigung zur permanenten Selbstkontrolle und sogar zur Denunziation. Muckertum wie auch Aufbegehren konnten sich aus einer solchen Erziehung ergeben, leistungsfähige Bürger produzierte sie, aber auch ebenso angepasste Untertanen.“ M. Greschat, Christentumsgeschichte II: Von der Reformation bis zur Gegenwart (Grundkurs Theologie Bd. 4; Stuttgart 1997) 101.
8. Die ersten evangelischen Missionare 1706
Als der vom Pietismus beeindruckte dänische König Friedrich IV. im Jahr 1704 beschloss mit der Mission unter den Heiden in seinen Kolonien zu beginnen, suchte er zwei dafür geeignete Männer und fand sie unter Franckes Theologiestudenten in Halle. Am 29.11.1705 wurden Bartholomäus Ziegenbalg (1682 – 1719) aus Pulsnitz und sein Freund Heinrich Plütschau (1677 – 1746) in Kopenhagen als erste lutherische (und erste deutsche) Missionare der Geschichte nach Südindien ausgesandt. Am 9.7.1706 kamen sie in Tranquebar an. Mit ihnen begann vor 300 Jahren die evangelische Mission in Asien. Plütschau musste schon bald krankheitshalber nach Deutschland zurückkehren, Ziegenbalg aber übersetzte das Neue Testament ins Tamilische und baute eine umfangreiche Missionsarbeit auf, Er starb nach 13 Jahren Missionsarbeit am 23.2.1719, doch die Arbeit der dänisch-hallischen Mission ging weiter. Allein in den ersten Jahrzehnten wurden 40.000 Einheimische getauft.
10. Die Gründung der deutschen Bibelanstalt 1710
Neben der Waisenhausarbeit fing das junge Werk schon bald an auch an, zur eigenen Versorgung Wirtschaftsunternehmen und Handwerksbetriebe an das Waisenhaus anzugliedern. So entstanden auch eine Apotheke und eine Buchdruckerei. Hier kam es 1710 durch die Initiative des Barons Carl Hildebrand von Canstein zur Gründung einer Gesellschaft zur massenhaften Verbreitung von günstigen Bibelausgaben. Erst dadurch wurde die Bibel in Deutschland zu einem echten Hausbuch.
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700-1760)
1. Die Kindheit in Großhennersdorf (1700-1710)
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf wurde am 26.5.1700 in Dresden als erstes und einziges Kind seiner Eltern geboren, da sein Vater bereits sechs Wochen nach der Geburt verstarb. Seine Familie gehörte zum europäischen Hochadel und stammte ursprünglich aus Österreich. Der kleine Junge sollte Reichsgraf werden. Als seine Mutter Charlotte Justine von Gersdorf 1704 eine zweite Ehe in Berlin einging wurde der Junge zur Großmutter Henriette Katharina von Gersdorf auf dem Schloss Großhennersdorf bei Zittau (heute im Dreiländereck D-PL-CZ) gegeben. Sie war ein hochgebildete Frau, sprach fließend Französisch, Italienisch und Latein, und konnte auch Griechisch, Hebräisch, Chaldäisch und Syrisch. Die Bibel wurde in den Ursprachen gelesen. Am kursächsischen Hof (dem zweitwichtigsten in Europa, nach den Habsburgern in Wien) in Dresden hatte sie weitreichenden Einfluss und pflegte viele Kontakte in die pietistische Welt. Auch Spener und Francke kamen zu Besuch. Hier entwickelte der kleine „Lutz“ eine tiefe kindliche Jesusliebe, die allerdings schon im Alter von 8 Jahren durch eine grundsätzliche Anfechtung ging, ob Gott überhaupt existiert. Immer wieder sollte Zinzendorf in seinem Leben durch solche Zweifel-Phasen gehen, die sich nicht verstandesmäßig lösten, sondern nur dadurch, dass er gegen allen Zweifel sein Vertrauen auf Jesus setzte.
2. Die Ausbildung am Pädagogium in Halle (1710-1716)
Nach der überaus behüteten Kindheit in Großhennersdorf (draußen wurde er z.B. nur getragen oder gefahren) wird Zinzendorf am 9.8.1710 von seiner Mutter auf das Franckesche Pädagogium in Halle gebracht. Er ist der erste Reichsgraf, der die Anstalt besucht, ist somit der berühmteste Schüler und darf deswegen bei den Mahlzeiten zwischen dem Ehepaar Francke sitzen. Zinzendorfs Charakter wird zunächst von seinen Erziehern sehr negativ beurteilt. Auch ihm selbst fällt die Zeit in Halle nicht leicht. Immer wieder reibt er sich an der ängstlich-strengen Atmosphäre. Dennoch nimmt er wertvolle Impulse in sein weiteres Leben mit. Besonders hat ihn die Begegnung mit den Missionaren Plütschau und Ziegenbalg beeindruckt. Von 1714 – 1716 gründete er mit einigen anderen adligen Jungen eine feste geistliche Gemeinschaft, den Senfkorn-Orden. Es kam zu Bekehrungen und zu einer kleinen Erweckung, so dass auch Francke und die Leitung des Pädagogiums ihm zum Abschied im April 1716 gewisse Sympathien entgegenbrachte.
3. Das Jura-Studium in Wittenberg (1716-1719)
Zinzendorf plante in den sächsischen Staatsdienst zu treten und studierte daher auf Drängen seiner Vormünder ab August 1716 Jura in Wittenberg, der Hochburg der lutherischen Orthodoxie. Hier bekannte sich Zinzendorf offen als „Pietist“ und beschäftigte sich neben dem Studium soviel wie möglich mit theologischen Fragen. Er versuchte, im theologischen Streit zwischen den Pietisten in Halle und den Orthodoxen in Wittenberg zu vermitteln, musste dann aber auf Veranlassung seiner Vormünder im April 1719 das Studium abbrechen.
4. Die Bildungsreise (1719-1721)
Im Mai 1719 begann Zinzendorf eine Bildungsreise. Seine erste Station war Frankfurt, das er wegen der Verbundenheit mit seinem (1705 verstorbenen) Patenonkel Spener sehen wollte. In Düsseldorf beeindruckte ihn ein Passions-Gemälde des italienischen Malers Domenico Feti (1589 – 1624) mit der Bildunterschrift: „Ego pro te haec passus sum. Tu vero, quid fecisti pro me?“ (Ich habe dies für dich gelitten -was tust du wahrhaftig für mich?), aufgrund dessen er sein Leben neu Jesus hingibt. Im niederländischen Utrecht und in Paris lernt Zinzendorf viele verschiedene christliche Gruppierungen kennen und er entdeckt, dass es in allen Konfessionen Christen gibt, die sich in tiefer Jesusliebe in der Bibel gründen und mit denen er herzliche geistliche Gemeinschaft haben kann.
5. Justizrat am Dresdener Hof (1721-1726)
Im Oktober 1721 nahm Zinzendorf eine unbezahlte Stelle im Staatsdienst als Justizrat am Dresdener Hof an. Er verstand es als Vorschule für ein späteres Regierungsamt. Am 7.9.1722 heiratete er die gleichaltrige Erdmuthe Dorothea Gräfin von Reuss-Ebersdorf (1700 – 1756) aus Thüringen. Sein Eheverständnis war sehr nüchtern und praxisbezogen. Vor der Hochzeit schrieb er ihr, dass er „sich nur nach einer solchen umsehe die einen Mann haben kann als hätte sie keinen, und die Jesum Christum über alles liebet.“ Erdmuthe war praktisch sehr begabt und wurde eine kompetente Managerin für die späteren vielfältigen Arbeitsbereiche ihres Mannes.
Im Mai 1722 erwirbt Zinzendorf von seiner Großmutter das Bauerndorf Berthelsdorf bei Zittau. Das jungvermählte Ehepaar zieht in das Berthelsdorfer Schloss, er stellt einen lutherischen Pfarrer für seine Kirche an und der Reichsgraf ist nun einer von 300 reichsunmittelbaren Landesherren in Deutschland. Das Amt am Dresdener Hof füllt Zinzendorf mit der Zeit immer weniger aus, so dass er immer mehr Zeit in Berthelsdorf verbringt, was vor allem an den vielen Menschen liegt, die nun nach Berthelsdorf ziehen.
6. Die Entstehung der Herrnhuter Brüdergemeine
Schon einen Monat nachdem Zinzendorf das Gut Berthelsdorf erworben hatte, ersuchten ihn einige mährische Glaubensflüchtlinge um Asyl. Zinzendorf erlaubt ihnen, sich auf dem Hutberg (der Berg auf die Tiere gehütet wurden) westlich von Berthelsdorf anzusiedeln. Schon bald deutete man dies als einen Ort, der „unter des Herrn Hut“ steht. Nach fünf Jahren bestand die Siedlung „Herrnhut“ dann schon aus 30 Häusern mit über 200 Bewohnern aus vielen verschiedenen Gegenden und Konfessionen. Dies führte schon bald zu tiefgreifenden Spannungen, so dass Zinzendorf sich ab 1724 immer weniger um sein Amt in Dresden und immer mehr um seine Gemeinde kümmerte. Im Jahr 1727 kam es zu einer tiefgreifenden Krise in Herrnhut, da einige Gruppierungen sich von der Berthelsdorfer Gemeinde separieren wollten. Am 13.8.1727 kommt es schließlich zum Durchbruch. Bei einem Abendmahlsgottesdienst in der Berthelsdorfer Kirche versöhnen sich die streitenden Parteien und schließen sich zur Herrnhuter Brüdergemeine zusammen. Auf dem Boden der lutherischen Theologie versuchten nun die Herrnhuter Siedlung und die alte Dorfgemeinde neue gemeinsame Formen geistlichen Lebens zu entwickeln.
7. Die Gemeinschaftsformen der Brüdergemeine
Die evangelischen Kirchen nach der Reformation wurden weitgehend einseitige Pastorenkirchen. Demgegenüber entwickelte Zinzendorf nun mit seinen Mitarbeitern eine Vielzahl von revolutionären Neuerungen. Am Anfang wurden in der Gemeine verschiedene so genannte Banden eingeführt. Das waren auf Sympathie und Freiwilligkeit beruhende Kleingruppen von 3-8 Leuten, in denen man sich gemeinsam sich auf dem Weg der Nachfolge bestärkte. Die Bandenführer dieser „Beichtgemeinschaften“ tauschten sich in wöchentlichen Bandenkonferenzen aus.
Neben diesen freiwilligen Gruppen wurden jedoch auch andere gemeinschaftsbildende Kreise errichtet. Zuerst versuchte Zinzendorf eine Einteilung der Gemeine in Klassen, die nach der geistlichen Reife und Erfahrung sortiert werden sollte. Doch dieses Experiment wurde bald verworfen. Zu sehr verführte es dazu, sich und andere ständig zu zensieren. Endgültig wurden dann die Chöre das beherrschende Gliederungsprinzip. Hier wurden Menschen nach natürlichen Gruppen eingeteilt, wie unverheiratete Brüder bzw. Schwestern, junge Ehepaare. u. a. Hier war die Möglichkeit zur offenen Aussprache und Seelsorge gegeben. Vor allem die (nach Geschlechtern getrennt) gemeinsam lebenden Chöre der Ledigen verstanden sich als intensive Dienstgemeinschaften in Diakonie und Mission. Zinzendorf hatte das Ziel, dass sein Dorf ein in alle Welt strahlendes Licht in Form eines großen collegium pietatis sein sollte.
8. Die Ämterstruktur in Herrnhut
Neben diesen Gruppeneinteilungen brachte Herrnhut bald eine Vielzahl von Ämtern hervor. Alle Gaben und Befähigungen in der Gemeine sollten auch genutzt werden. Damit aber niemand in den Ruf komme, er wolle sich nur hervortun, wurde er nach Möglichkeit mit einem Amt versehen. Der Phantasie waren dabei keine Grenzen gesetzt. Es gab Älteste, Lehrer, Helfer, Aufseher, Ermahner, Diener, Krankenwärter, Almosenpfleger, Wirtschaftsaufseher, usw. Diese Demokratisierung des Amtsgedankens band viele Christen in den gemeinsamen Dienst verantwortlich ein. Zinzendorf hatte lange Zeit das Vorsteher-Amt inne, bis man es 1741 feierlich Jesus Christus als Haupt und Ältesten übertrug. Hieraus stammt auch der Brauch, bei Mahlzeiten immer einen Platz für Jesus frei zu lassen.
9. Die Kreativität Herrnhuts
Nicht nur bei Ämtern, auch bei der Einrichtung neuer Gebräuche und Feiern ließ man der Kreativität freien Raum. Es wurden Fastentage und ein 24-Stunden-Gebet eingerichtet. Man begann sich täglich in den Häusern zu besuchen und dabei seit 1728 eine Tageslosung weiterzusagen. Ab 1729 werden diese Losungen schriftlich festgehalten und seit 1731 gedruckt um auch reisende Geschwister einzubeziehen (Heute erscheinen die Losungen in 46 Sprachen in Millionenauflage). Eine weitere bekannte Einrichtung wurden die Singestunden, in denen man nicht zur Belehrung, sondern zu Anbetung und Lobpreis des Herrn zusammenkam. Zinzendorf selbst dichtete über zweitausend Lieder, häufig auch spontan während solcher Singestunden. Wie bei solchen Gelegenheiten wurden künstlerische Begabungen gepflegt und für Jesus dienstbar zu machen gesucht. Weitere Feiern wurden eingeführt. So wurde der altkirchliche Brauch der Liebesmahle wieder eingeführt, bei denen die ganze Gemeine zu einem festlichem Essen mit viel Gesang und Gebet zusammenkam. Verschiedene Jahrestage der Brüdergemeine wurden zu Festtagen, auch Gebräuche wie Fußwaschungen wurden regelmäßig praktiziert. Insgesamt hatte Zinzendorf das Ideal eines liturgischen Lebensstils. Alle falsche Trennungen von geistlichen und weltlichen Lebens sollten vermieden werden, stattdessen sollten möglichst viel Lebensvollzüge in eine geistliche Perspektive eingebettet sein. Liturgisch hieß für Zinzendorf daher soviel wie unter ständigem Aufblick zu Jesus. Von allen Sachen, sie haben Namen, wie sie wollen, wünsche ich, dass ein liturgischer Geist drein komme Konsequent wurde sie bezogen auf die Arbeitswelt, auf die Eheführung (mit manchen fragwürdigen Ausprägungen), bis hin zum liturgischen Einschlafen und Aufwachen.
10. Von Herrnhut nach Herrnhag
Ab 1731 verstärkte sich der staatliche Widerstand gegen die Entwicklungen in Berthelsdorf. Vor allem wegen der Aufnahme glaubensfremder Flüchtlinge kam Zinzendorf in Rechtskonflikte, die im März 1736 zu seiner Ausweisung aus Sachsen führten. Seine Güter musste Zinzendorf seiner Frau übereignen. Die Herrnhuter Brüdergemeine selbst wurde überprüft und durfte bestehen bleiben, sich aber nicht über Herrnhut hinaus weiter ausbreiten. In dieser Zeit legte Zinzendorf noch ein theologisches Examen ab und bekam in Tübingen die Zulassung für das geistliche Amt. Zinzendorf verstand sich nun als umherziehender Pilger bis er schließlich in der hessischen Wetterau die Gemeinden Marienborn (1736) und Herrnhag (1738) gründen konnte, die mit der Zeit größer wurden als Herrnhut selbst. In Marienborn wurde er 1737 auch zum Bischof der Brüder-Unität ordiniert.
11. Die Missionsarbeit
Von Beginn an betonte Zinzendorf den Sendungsaspekt seiner Arbeit. Die in Herrnhut erlebte Gemeinschaft im heiligen Geist sollte in alle Welt getragen werden. Schon 1727 wurden Brüder nach Jena und Dänemark geschickt, 1728 nach London. Im Jahr 1732 sandte man dann die ersten Heiden-Missionare auf die karibische Insel St.Thomas um schwarzen Sklaven das Evangelium zu bringen. Herrnhuter evangelisieren unter Sklaven, Eskimos, Hottentotten und Indianern. Oft durchs Los bestimmt gehen Herrnhuter Brüder und Schwestern meist spärlich ausgebildet in 28 Missionsgebiete. Bis 1760 werden 200 Herrnhuter Missionare ausgesandt, ihre Zahl übertrifft die Halleschen Missionare bald um ein Vielfaches. Durch den Verzicht auf eine konfessionelle Prägung und die Unabhängigkeit von Kolonialmächten hatten die Herrnhuter Missionsgründungen eine große Ausstrahlung. Zinzendorf selbst verbrachte viele Jahre auf den Missionsfeldern, wo er oft für großes Aufsehen sorgte. So begrüßte er als Reichsgraf eine Christ gewordene schwarze Sklavin mit einem Handkuss. Er lebte mit Indianern zusammen und war tief beeindruckt von der Ursprünglichkeit ihres Lebens. Anfang der vierziger Jahre versucht Zinzendorf viele der ihn beeindruckenden Erscheinungen eines ursprünglichen Lebensstils auch in seinen Gemeinden wieder zur Geltung zu bringen, womit er maßgeblich den Überschwang der Sichtungszeit einleitet. Doch deutlich wird hier, dass die Missionspraxis nicht zur Einbahnstraße wurde, sondern auch Anregungen nach Deutschland brachte. Die Missionsarbeit führte dazu, dass die Brüder-Unität heute 762.000 Mitglieder in 30 Ländern umfasst.
12. Die Sichtungszeit in Herrnhag und die letzten Lebensjahre
Zinzendorf sah in den neuen englischen Kolonien Nordamerikas die eigentlich Zukunft, weil dort Glaubens- und Gewissensfreiheit herrschte. Er besuchte 1738 St. Thomas und 1741 Pennsylvanien. Die dortige Brüdersiedlung Bethlehem wurde ein starker Stützpunkt für die Herrnhuter. Nach seiner Rückkehr aus Amerika entließ er ältere Mitarbeiter und setzte Jugendliche in Führungspositionen. In bewusstem Gegensatz zur vernunftbetonten Aufklärung und zum strengen hallischen Pietismus versuchte Zinzendorf jetzt die unmittelbare kindliche Erlösungsfreude in den Mittelpunkt zu stellen. Dazu führte er viele Verkleinerungsformen in den Sprachgebrauch ein (Lämmlein, Sünderlein usw.). Die Jesusliebe wurde mit einer Konzentration auf die Wunden Jesu verbunden, so dass es einen regelrechten Kult um „Jesu Seitenhöhlchen“ gab, in das der Christ im Glauben liebevoll hineinkriecht. Beispiel: „Für Wunden-Würmelein verliebt in seine vier Nägelein, für Kreuz-Luft-Vögelein, kränkelnd vor Liebespein nach Jesu Seitenschrein. Seid Kreuz-Luft-Vögelein und Täucherlein, fahret ins Loch hinein, das ihm der Speer geritzet?“ (Brüdergesangbuch Jahrgang 1746).
Nachdem Zinzendorf im Frühjahr 1748 aus Herrnhag zu einer Reise aufgebrochen war, glitt die Gemeinde unter der Führung seines Sohnes in immer skurilere Extreme ab. Teilweise hielt man das 1000-jährige Reich für verwirklicht, so dass Zinzendorf selbst im Februar 1749 eingreifen musste. Dies konnte aber nicht mehr verhindern, dass 1750 alle fast 1000 Bewohner Herrnhags ausgewiesen wurden. Zinzendorf interpretierte diese Jahre in Herrnhag später als eine „Sichtung des Satans“. Zinzendorf selbst durfte seit 1747 Herrnhut Herrnhut wieder betreten. Er blieb aber weiterhin viel auf Reisen, und wohnte ab 1750 meist in London, ab 1755 dann wieder in Herrnhut. Nach dem Tod seiner Frau 1756 heiratete er noch seine langjährige Mitarbeiterin Anna Nitschmann, bevor er am 9.5.1760 in Herrnhut starb.
13. Theologische Grundlinien Zinzendorfs
13.1. Gegen die Moralisierung des Christentums durch die Aufklärung
Was ist denn die Hauptsumme des Evangeliums, wonach man vor allem Dingen zu fragen und alle Gemeinschaft im Geistlichen darauf zu gründen hat? Das nenne ich, nach meiner persönlichen Art mich auszudrücken, die persönliche Konnexion mit dem Heilande
In einer Zeit, da aller persönlicher Glaube sich immer mehr verflüchtigte und zur Tugendreligion der Aufklärung wurde, sah Zinzendorf mit größter Leidenschaft die Beziehung zu Jesus Christus als Zentrum seines Lebens und seine Gemeinde. Eine rein rationale Erkenntnis der Existenz Gottes im Sinne der Aufklärung hielt er für gefährlich: „Wer Gott im Kopfe weiß, der wird Atheist!“. Christsein verwirklicht sich nur in der persönlichen Beziehung zu Jesus: „Ohne Jesus wäre ich Atheist!“
13.2. Gegen die Gesetzlichkeit des Franckeschen Pietismus
Zinzendorf verwarf den Bekehrungsmethodismus, der nur eine bestimmte Art von Bekehrung als Zeichen echten Christseins anerkennen wollte. Ebenfalls wurde eine einseitige Bußfrömmigkeit abgelehnt, die den Kampf mit der eigenen Sündhaftigkeit und moralische Anstrengung ins Zentrum des Glaubens setzt. Demgegenüber griff Zinzendorf wie kein anderer bedeutender Pietist nachdrücklich auf Luther zurück und betonte den Glauben an Christus als Ursprung des neuen Lebens.
13.3. Gegen die Zurückgezogenheit des radikalen Pietismus
Gegenüber Vertretern des radikalen Pietismus führte die Losung „Jesus allein“ aber auch zu einem fröhlichem Handeln aus dem Glauben, der nicht zu einem passiven Quietismus werden darf.
13.4. Gegen das Vollkommenheitsstreben des Methodismus
Zinzendorf lehnte jede Hoffnung auf Vollkommenheit der Gläubigen von Luther her ab. Im Streit mit John Wesley betonte Zinzendorf nachdrücklich das lutherische simul justus et peccator. Der Mensch könne nicht durch gewissenhafte Heiligung eine Vollkommenheit und Sündenfreiheit auf Erden erreichen. Vielmehr bleibe allein Christus die vor Gott gültige Gerechtigkeit.
13.5. Gegen Endzeitspekulationen der Württemberger
Sein Christozentrismus ließ ihn aber auch Abstand halten zu heilsgeschichtlichen Spekulationen, wie er sie etwa bei Johann Albrecht Bengel bemerkte. Während dieser ihm vorwarf, durch sein Losverfahren den Zusammenhang der Schrift zu zerstören, wollte Zinzendorf das Evangelium von Christus nicht in falsche Systeme pressen.
13.6. Für die Unverzichtbarkeit der Gemeinschaft
„Ich statuiere kein Christentum ohne Gemeinschaft“. So wie der Glaube nicht nur als graue Theorie gelebt werden kann, sondern der persönlichen Beziehung bedarf, so ist er auch auf die Verwirklichung in einer konkreten Gemeinde angewiesen. Zinzendorf bejahte durchaus den Trend zu seiner Zeit zu immer stärkerer Individualisierung. Der Glaube will persönlich angeeignet werden, und dabei die Persönlichkeit des Christen nicht verdrängen, sondern entfalten. Gerade dazu braucht jeder Einzelne aber auch die Hilfe und die Korrektur von Brüdern und Schwestern. „Eine Gemeine ist der einzige Beweis gegen den Unglauben“.
13.7. Für eine konfessionsübergreifende Zusammenarbeit aller, die Jesus lieb haben
Früh vertrat Zinzendorf eine Ökumene derer, die Jesus Christus nachfolgen. Die Einheit der Kirche sah er im Versöhnungsopfer Jesus als schon gegeben an, so dass sie nicht erst durch äußere Unionen herbeigeführt werden musste. Er entwickelte später seine so genannte Tropenlehre aus dieser Grundhaltung. Demnach ist jede Konfession nur eine von vielen unterschiedlichen Erziehungsweisen (tropoi paideiav) Gottes. Die Brüdergemeine sollte nicht eine neue Konfession werden, sondern in verschiedenen Konfessionen eine Ausrichtung auf die Mitte Jesus Christus bewirken. Alle großen Konfessionen haben ein besonderes Charisma, aber auch eine besondere Gefährdung. Zinzendorf sah seine Brüdergemeine jedoch vor allem in der lutherischen Konfession verwurzelt
13.8. Für eine klare Unterscheidung der Geister
Neben aller Offenheit für Mitchristen aller Schattierungen gab es auch Grenzen der Gemeinschaft. Zinzendorf bemühte sich sein ganzes Leben um allerlei Querdenker, vor allem in der Auseinandersetzung mit der charismatischen Inspiriertengemeinde um Friedrich Rock. Hier begegnete Zinzendorf einer enthusiastischen Frömmigkeit, die sich im Umfallen, Zittern, Prophetien und vielleicht auch Zungenrede ausdrückte. Zinzendorf hatte großen Respekt vor Rock, und wollte solche Phänomene nicht ungeprüft verwerfen. Mit der Zeit jedoch wurde der Graf zunehmend skeptisch, bis es zum Bruch mit Rock kam. Als zunehmend unbiblische Praktiken mit göttlicher Vollmacht erklärt wurden, ging Zinzendorf auf Distanz. In der späteren Sichtungzeit (1743 – 1750) bewies man am Ende, dass man auch realistisch genug war, die eigene Fehlbarkeit selbst bei besten Absichten zu sehen.
14. Der weitere Weg Herrnhuts
Nach Zinzendorfs Tod 1760 wurde die Brüdergemeine von August Gottlieb Spangenberg weitergeführt. Er prägte die Gemeinschaft zu dem, was sie heute noch auszeichnet: „Die Stillen im Lande, die durch eine hohe menschliche Kultur und erzieherische Weisheit ein Vorbild christlicher Bescheidenheit und Nächstenliebe geben und persönliche Schlichtheit mit theologischer Tiefe sowie ökumenischer Weite vereinigen.“ (M.Schmidt, 108) Den Herrnhutern gelang es, den schlichten Bibelglauben und die tiefe Jesusliebe durch die Zeit der Aufklärung hindurch zu bewahren. Im 19.Jh. wuchsen einflussreiche Persönlichkeiten wie Novalis oder Kierkegaard in herrnhutischer Frömmigkeit auf. Auch Schleiermacher verstand sich als „Herrnhuter höherer Ordnung“. Der herrnhutische Geist gab der Erweckungsbewegung des 19.Jahrhunderts wichtige Impulse.
Die Äußere Mission im Pietismus des 18. Jahrhunderts
Die Dänisch-Hallische Mission
Der sich seit 1675 ausbreitende Pietismus sorgte mit seiner Betonung der persönlichen Glaubensentscheidung auch dafür, dass im Protestantismus das Bewusstsein wuchs, einzelne Seelen retten zu wollen. König Frederik IV. von Dänemark war Pietist und wollte für seine überseeischen Besitzungen in Tranquebar (Indien), Guinea (Afrika) und St.Thomas (Karibik) gerne pietistische Missionare haben (anstatt dänisch-lutherische Pfarrer). So wurden Bartholomäus Ziegenbalg und Heinrich Plütschau 1706 ausgewählt und nach Tranquebar ausgesandt. Ziegenbalg übersetzte das Neue Testament ins Tamilische und baute eine umfangreiche Missionsarbeit auf, Er starb nach 13 Jahren Missionsarbeit am 23.2.1719, doch die Arbeit der dänisch-hallischen Mission ging weiter. Allein in den ersten Jahrzehnten wurden 40.000 Einheimische getauft.
Schon Francke erkannte, dass die Mission eine Infrastruktur brauchte. So sammelte er Freundeskreise unter den erweckten Pietisten, ließ Briefe von Ziegenbalg veröffentlichen (erste kontinentale Missionszeitschrift „Merkwürdige Nachrichten aus Ostindien“), sammelte Kollekten für die Mission und initiierte Gebetskreise. Freiwillige Missionskreise und nicht die offizielle Kirche unterstützten die Mission. Diese grundsätzliche Struktur hat sich bewährt bis heute.
Später weitete sich die Missionsarbeit der deutschen Missionare auch auf das Gebiet der englischen Besitzungen unter den Tamilen aus. Der berühmteste Missionar dieser Zeit wurde Christian Friedrich Schwartz (1724 – 1798). Die dänisch-hallische Mission zerbrach dann durch die Aufklärung an der Universität Halle. Die Reste der Arbeit wurden 1837 von der Leipziger Mission übernommen.
Wegweisend für die weitere Missionsgeschichte wurden folgende Prinzipien:
Kirche und Schule gehören zusammen (Schulung von Einheimischen zum Lesen)
Primat der Übersetzung der Bibel, damit das Evangelium wirklich verstanden wird
Die Predigt des Evangeliums muss sich auf eine genaue Kenntnis der Kultur und Gedankenwelt des Volkes gründen.
Das Ziel ist die persönliche Bekehrung Einzelner
So früh wie möglich müssen einheimische Pastoren ausgebildet werden.
Die Missionsarbeit der Herrnhuter
Von Beginn an betonte Zinzendorf den Sendungsaspekt seiner Arbeit. Die in Herrnhut erlebte Gemeinschaft im heiligen Geist sollte in alle Welt getragen werden. Schon 1727 wurden Brüder nach Jena und Dänemark geschickt, 1728 nach London. Im Jahr 1732 sandte man dann die ersten Heiden-Missionare auf die karibische Insel St.Thomas um schwarzen Sklaven das Evangelium zu bringen. Herrnhuter evangelisierten unter Sklaven, Hottentotten und Indianern. 1733 gingen zwei herrnhutische Missionare nach Grönland, wo durch die Missionsarbeit des norwegischen Lutheraners Hans Egede der Boden schon vorbereitet war. 1738 brach hier eine Erweckung unter den Eskimos aus.
Oft durchs Los bestimmt gehen Herrnhuter Brüder und Schwestern meist spärlich ausgebildet in 28 Missionsgebiete. Dort lebten sie mit den Heiden und mussten sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Ziel waren vor allem unterdrückte und versklavte Volksgruppen. Bis 1760 wurden 200 Herrnhuter Missionare ausgesandt, ihre Zahl übertraf die Halleschen Missionare bald um ein Vielfaches. Durch den Verzicht auf eine konfessionelle Prägung und die Unabhängigkeit von Kolonialmächten hatten die Herrnhuter Missionsgründungen eine große Ausstrahlung. Zinzendorf selbst verbrachte viele Jahre auf den Missionsfeldern, wo er oft für großes Aufsehen sorgte. So begrüßte er als Reichsgraf eine Christ gewordene schwarze Sklavin mit einem Handkuss. Er lebte mit Indianern zusammen und war tief beeindruckt von der Ursprünglichkeit ihres Lebens. Die Missionsarbeit führte dazu, dass die Brüder-Unität heute 762.000 Mitglieder in 30 Ländern umfasst.
Die Missionsprinzipien der Herrnhuter waren:
Christozentrismus. Jesus und seine Liebe sollten im Mittelpunkt der Verkündigung stehen.
Gründung von Auswahlgemeinden. Zinzendorf wollte nur Erstlinge aus allen Völkern gewinnen. Die Bekehrung ganzer Völker erwartete er erst für das Tausendjährige Reich. Vielfach kam es aber dennoch aus kulturellen Gründen zu ganzen Stammesbekehrungen, so dass die Vision verändert werden musste.
Risikobereitschaft: Das Motto der Herrnhuter lautete: „Besser hundert und vergebliche als keine Unternehmungen zur Ehre des Heilands!“
Fazit
Aus missionsgeschichtlicher Sicht gilt das 18.Jahrhundert als die Zeit der Anstöße und ersten Aufbrüche. Es sind noch keine großen Zahlen vorzuweisen, aber es entstehen zukunftsweisende Strukturen, vor allem die ersten Missionsgesellschaften als freie Vereine, die durch Spender getragen werden. Die größte Zahl und die bedeutendsten Missionare sind Deutsche. Alles in allem hätte aber um 1800 niemand gedacht, dass sich Christentum zu einer Weltreligion entwickeln könnte. Noch gab es nur vereinzelte bekehrte Heiden, 99 % der Christen waren Europäer (bzw. europäische Einwanderer in Nordamerika) aber gerade in Europa leerten sich die Kirchen durch die Einflüsse des Rationalismus und der Aufklärung.