Forschungsstelle Neupietismus
Grundinformationen zum Neupietismus
Die Entstehung der Gemeinschaftsbewegung
Die Lage in Deutschland um 1875
Licht und Schatten der “Gründerzeit”
In Deutschland kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor allem nach den preußischen Siegen über Österreich (1866) und Frankreich (1871) und der Reichsgründung (1871) zu großem Reichtum. Diese Zeit wurde rückblickend oft als Gründerzeit bezeichnet, viele Betriebe und Industriezweige entstanden, vor allem setzte abermals eine große Bewegung der Verstädterung ein. Mit Macht holte Deutschland nun alle Rückständigkeit gegenüber dem Ausland ein. Die Folge waren viele soziale Umbrüche, vor allem in den Städten fehlte es oft an einer ausreichenden kirchlichen Versorgung. Einige Gebiete Deutschland wie Württemberg, Minden-Ravensberg, das Siegerland und Franken waren nachhaltig von der Erweckung geprägt und wiesen ein reges geistliches Leben auf. Prominente Persönlichkeiten wie der Reichskanzler Otto von Bismarck entstammten der Erweckungsbewegung, und auch das Hohenzoller Kaiserhaus stand dem konservativ-erwecklichen Pietismus nahe. Doch die dynamische Erweckungsluft der 1820er und 30er Jahre war verflogen, die pietistischen Kreise hatten hauptsächlich ein konservativ bewahrendes Gepräge.
In der Universitäts-Theologie übernahm nun ganz eindeutig die liberale Theologie die Vorherrschaft: Die Schule um Albrecht Ritschl dominierte an den deutschen Hochschulen, die radikale Bibelkritik setzte sich fast überall durch. Konservative Außenseiter wie Martin Kähler, Adolf Schlatter und die Erlanger Theologen konnten nicht verhindern, dass in Deutschland hundertfach junge Leute aus Erweckungsgebieten ins Studium zogen, um danach mit verlorenem oder gebrochenem Glauben in Pfarramt zu gehen.
Ideologisch gewannen in dieser Zeit weitgehend antireligiöse geistige Strömungen das intellektuelle Übergewicht. Die Religionskritik von Ludwig Feuerbach wurde von vielen als vernichtender Schlag gegen das Christentum empfunden. Verbreitert wurde sie noch vom Marxismus, der auf die Arbeiterschaft wie auf radikale Intellektuelle eine wachsende Faszination ausübte. Andere mehr bürgerliche Kreise fanden Trost in der skeptisch-ästhetischen Philosophie Arthur Schopenhauers oder im heroisch-amoralischen Pathos Friedrich Nietzsches. Vor allem auch der Darwinismus sorgte für ein weitere erdrutschartiges Anwachsen des Materialismus und Atheismus.
Der wirtschaftliche Aufbruch der Gründerzeit sorgte auf seine Weise für eine Abwendung von religiösen Antworten. Er brachte gleichermaßen Massenelend und ungeahnten Wohlstand. Beide konnten stärker fesseln als die Frage nach dem ewigen Heil.
All diese negativen Entwicklungen lagen vielen Pietisten schwer auf der Seele. Vielfach wurde das Bedürfnis nach neuer Erweckung empfunden. Der Impuls dazu kam aus drei verwandten Strömungen: der angloamerikanischen Heiligungsbewegung, der Evangelisationsbewegung und der Heilungsbewegung.
Die Heiligungsbewegung
Angloamerikanische Wurzeln
Die Wurzeln der späteren Heiligungsbewegung liegen in der Theologie des Begründers des Methodismus John Wesley (1703-1791). Dieser hatte gelehrt, dass der Christ nach der Rechtfertigungserfahrung durch einen längeren Prozess im Glauben weiter fortschreiten könne bis zur Stufe der „Christlichen Vollkommenheit“, d.h. dem Unterlassen jeder bewussten willentlichen Sünde.In den 1830er Jahren wurde diese wesleyanische Heiligungslehre in den USA immer populärer, wobei sehr unterschiedliche Ansichten darüber vertreten wurden, wie man die Stufe der vollkommenen Heiligung erreichen kann, ob allein durch Gottes Gnade oder durch bewusste Willensanstrengung, ob in einem langsamen Prozess oder durch ein plötzliches Erlebnis, der „Geistestaufe“.Als prägende Persönlichkeit wirkte Charles Finney (1792-1875). Er war ursprünglich Rechtsanwalt und erlebte beim Bibelstudium 1821 eine Bekehrung, die stark von einem eigenen Willensentschluss geprägt war. Dies führte bei ihm zu der Überzeugung, dass der Mensch mit absolut freiem Willen selbst über Heil und Unheil seines Lebens entscheiden kann. Nun erwarb er sich theologische Erkenntnisse im Selbststudium begann 1824 mit evangelistischen Freiversammlungen, die für großes Aufsehen sorgten. Finney ging (im Gegensatz zu dem in den USA dominierenden Calvinismus!) davon aus, dass jeder Mensch eine willentliche Entscheidung für Jesus fällen kann, auf die Gott zwingend mit der Wiedergeburt antworten wird. Er hielt erfolgreiche Massenevangelisationen, in denen er zur Bekehrungen aufrief, die durch Handheben oder Nachvornekommen dokumentiert wurden. Finney fasste seine Einsichten in seinen Vorlesungen über Erweckung zusammen, die bis heute klassischen Rang haben. Starke Betonung legte er darin auf die einer Erweckung vorangehende Buße unter Christen, die sich in einem vertieften Gebetsleben niederschlägt. Dabei betonte Finney die Vorstellung, dass Erweckung jederzeit machbar sei, wenn bestimmte Vorbedingungen erfüllt würden. Statt der göttlichen Souveränität sah er also immer die menschliche Entscheidung als maßgeblichen Faktor an. Ab 1835 wirkte Finney als Theologieprofessor in Oberlin/Ohio. Mit Asa Mahan (1800-1889) zusammen begründete er die Oberlin-Theologie, welche die Heiligung als zweite Stufe nach der Rechtfertigung beschrieb (ähnlich wie Wesley). Damit wurde er wesentlicher Impulsgeber der amerikanischen Heiligungsbewegung. Systematisch wurde diese Linie weitergeführt von William Boardman (1810-1886), der in seinem weit verbreiteten Buch The Higher Christian Life (1858) die Ansicht vertrat, dass es bei der Heiligung nicht um eine völlige Ausrottung von inneren sündigen Neigungen geht, sondern allein um das ständige Bleiben in Jesus. Boardman wurde der Förderer des Ehepaars Robert Pearsall Smith (1827-1898) und Hannah Whitall Smith (1832-1911), die sich der Heiligungsbewegung angeschlossen hatten und mit ihm zusammen für die Heiligungslehren warben. In den USAkam es nach dem Bürgerkrieg 1865 zu den ersten großen konfessionsübergreifenden Heiligungsversammlungen. Diese Heiligungsbewegung organisierte sich 1867 in der „National Camp Meeting Association for the Promotion of Holiness“, sie führte zur Erneuerung vieler bestehender Denominationen und schließlich auch zu neuen Kirchengründungen (Gemeinde Gottes, Kirche des Nazareners, Heilsarmee, usw.).
Die Heiligungsbewegung kommt über England nach Deutschland
Robert Pearsall Smith schrieb 1870 das einflussreiche Buch „Holiness through Faith“ und reiste 1873 zu einem Kuraufenthalt nach Europa. Als sich seine Gesundheit festigte, begann er in England, Irland und Frankreich 3-4-tägige Meetings abzuhalten. Auf Wunsch einiger Studenten in Cambridge fand im Juli 1874 ein Heiligungstreffen mit ungefähr 150 Personen auf dem Privatgelände Broadlands Park unter der geistlichen Leitung der Ehepaare Boardman und Smith statt, bei dem man beschloss, die dortigen geistlichen Erfahrungen einem größeren Personenkreis nahe zu bringen. Deshalb veranstaltete man vom 29.8.-7.9.1874 in Oxford das Oxford Union Meeting for the Promotion of Scriptural Holiness, eine Heiligungskonferenz mit 1500 Teilnehmern, an der auch ca. 20 deutsche und schweizer Theologen teilnahmen (darunter Rappard, Stockmayer und Jellinghaus). Carl Heinrich Rappard (1837-1909), der Leiter der Pilgermission St. Chrischona, der an den „Segenstagen von Oxford“ die Erfahrung der Heiligung durch den Glauben gemacht hatte, trug die Anliegen der Bewegung in die Schweiz und nach Süddeutschland, indem er Versammlungen im Stil der Oxford-Konferenz abhielt, Schriften von Smith in deutscher Sprache publizierte und die Heiligungszeitschrift „Des Christen Glaubensweg“ publizierte. Damit bereitete er eine fünfwöchige Vortragsreise Smiths im April/Mai 1875 quer durch Deutschland und die Schweiz vor, die für viel Aufsehen vor allem im Landeskirchlichen Bereich sorgte. Smith predigte vor Tausenden von Zuhörern in Berlin, Basel, Stuttgart, Karlsruhe, Frankfurt und im Wuppertal, wurde von Dr. Friedrich Wilhelm Baedeker übersetzt und von dem Methodisten Ernst Gebhardt musikalisch unterstützt. Vom 29.5.-7.6.1875 fand eine zweite Heiligungskonferenz in Brighton statt, an der es unter den 8000 Besuchern auch 200 deutsche Teilnehmer gab (darunter auch der später einflussreiche Evangelist Elias Schrenk und der Missiologe Gustav Warneck!). Die Kraft der Bewegung lag weniger in einer neuartigen Lehre als in dem Eindruck des praktisch gelebten Glaubens der Redner. Gerade angesichts mancher eingefahrener und traditionsbeladener Verhältnisse in der Heimat waren viele deutsche Pfarrer beeindruckt.Kurze Zeit nach der Konferenz wurde Smith allerdings mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe in einem seelsorgerlichen Gespräch die unbiblische Geheimlehre einer spürbaren Verlobung mit Jesus vertreten und außerdem die betreffende Dame sexuell belästigt. Smith stritt Letzteres ab und sagte sich auch von seiner Sonderlehre los. Dennoch wurde er vom Leitungskomitee der Brightoner Konferenz zur Aufgabe jeder weiteren Lehrtätigkeit in England gedrängt. Smith ging daraufhin mit seiner Familie wieder in die USA und zog sich als gebrochener Mann ins Privatleben zurück. Das Ausscheiden Smiths schien zunächst die Heiligungsbewegung in Deutschland zu stoppen, mit der Zeit aber merkte man, dass bleibende Einflüsse sich Bahn machten. Bis 1875 hatte der Versuch, angelsächsische Frömmigkeit nach Deutschland zu übertragen, nur zur Bildung von Freikirchen (Baptisten und Methodisten) geführt, die man aber selbst in erweckten Kreisen als Sekten scharf ausgrenzte. Erst die von Pearsall-Smith angestoßene Oxford- oder Keswick-Bewegung bewirkte, dass zum ersten mal angelsächsische Einflüsse in breitem Maße im landeskirchlichen Raum aufgenommen wurden. Sie wurde zum Orientierungspunkt für viele, die sich nach einer innerkirchlichen Erneuerung sehnten, und das Anliegen einer tieferen persönlichen Heiligung führte zur Bildung von Landeskirchlichen Gemeinschaften.Neben Rappard wurde vor allem Otto Stockmayer (1838-1917) der wohl einflussreichste Prediger und Seelsorger der deutschen Heiligungs- und damit auch der Gemeinschaftsbewegung. Tief überzeugt von der Macht der Sünde kam er zu der Überzeugung, dass nicht mehr nur eine einfache Lebensübergabe der Weg zur Freiheit von der Sündenmacht sei, sondern ein Lebensweg, der durch immer tiefere Reinigungen und Gerichte führt. Dabei betonte er, dass es nicht um Gefühle, sondern immer nur um geistliche Realitäten geht. Jesus soll unser Leben in die Hand bekommen, was nur durch die „Zerbrechung des Eigenlebens“ geschehen kann. Beeinflusst durch die dispensationalistischen Anschauungen John Nelson Darbys (Brüdergemeinden) entwickelte Stockmayer auch die Sonderlehre einer vorzeitigen Entrückung einer Auswahlgemeinde. Die Zubereitung dieser Braut des Lammes wurde fortan einer der mächtigsten Antriebe seiner Heiligungslehre. Nur Durchgeheiligte könnten zu dieser Überwinderschar gehören, ein Status, für den er bei der Mehrheit der Christen keine Hoffnung hatte. 1909 hatte Stockmayer allerdings die Größe, diese Elitenvorstellung zu widerrufen.Stockmayer besaß auch nach seinem Tod noch jahrzehntelang überragende Bedeutung für die Frömmigkeit der Gemeinschaftsbewegung. Theophil Krawielitzki hat dafür gesorgt, dass insbesondere der DGD sich in den ersten Jahrzehnten theologisch ganz auf Stockmayers Linien entwickelt hat.Im Bereich des Gnadauer Verbandes können neben dem DGD auch die Werke in St.Chrischona, Bad Liebenzell und die Deutsche Zeltmission auf dieser Linie gesehen werden.Für das theologische Fundament der deutschen Heiligungsbewegung sorgte die zweibändige Dogmatik von Theodor Jellinghaus (1841-1913) Das völlige, gegenwärtige Heil durch Christum (1880). Jellinghaus versuchte in seinem als „Heilismus“ bezeichneten System, die Oxfordlehren mit reformatorischen Einsichten zu verbinden. Allerdings löste er schon in der Rechtfertigungslehre das objektive extra nos auf zu einem realen Mit-Christus-zusammengefügt-sein. Die Zweistufen-Auffassung von Rechtfertigung und Heiligung wurde im Wesentlichen festgehalten. Nachdem Jellinghaus 1905 psychisch krank geworden war, vollzog er einen deutlichen Gesinnungswandel. Er erklärte 1911 öffentlich, die Grundgedanken seines Buches nicht mehr vertreten zu können, da er die Macht der Sünde unterschätzt habe und perfektionistischen Entwicklungen dadurch Vorschub leistete. Abschließend muss gesagt werden, dass die Heiligungsbewegung wesentlichen Einfluss auf die Gemeinschaftsbewegung ausübte, ohne den sie nicht vorstellbar gewesen wäre. Neben der Heiligungsbewegung ist aber unbedingt die Evangelisationsbewegung als zweiter starker Flügel zu sehen.
Die Evangelisationsbewegung
Nachdem in den 1870er Jahren die geistliche Erneuerung in Deutschland sich hauptsächlich auf das Thema Heiligung konzentriert hatte, kam ab 1880 das Thema Evangelisation als zweiter Schwerpunkt hinzu, so dass die Gemeinschaftsbewegung schon bald auch als regelrechte Evangelisationsbewegung wahrgenommen wurde. Auch dafür kamen die entscheidenden Impulse wieder aus den USA, wo schon Charles Finney als Heiligungstheologe und Berufsevangelist beides integriert hatte.
Die wichtigste Persönlichkeit der Evangelisationsbewegung war Dwight L. Moody (1837-1899). Er hatte in Chicago eine große CVJM-Arbeit begonnen, die er ab 1860 vollzeitlich ausübte. Seinen eigentlichen Durchbruch erlebte er jedoch in Großbritannien, wo er in den Jahren 1873-75 groß angelegte mehrwöchige Massenevangelisationen durchführte. Dabei wurde er von dem Sänger Ira Sankey begleitet, der die Botschaft musikalisch unterstützte. In den folgenden Jahren startete Moody auch in Irland und in den USAriesige Kampagnen, die in vielen Großstädten oft monatelang dauerten, und wahrscheinlich zu Millionen von Bekehrungen führten.
Ab 1880 betonte Moody dann auch das Thema Heiligung noch stärker. Er lud seine Bekehrten zu speziellen Heiligungskonferenzen ein und organisierte ab 1886 Studentenkonferenzen in Mt. Hermon, bei denen zur totalen Hingabe für die Weltmission aufgerufen wurde.
In Deutschland gab es vor 1875 zwar in vielen Kreisen der Inneren Mission ein evangelistisches Bewusstsein, welches sich aber nur in der Form äußerte, dass man durch ein vielfältiges Mühen versuchte, Einzelne wieder in das kirchliche Leben zu integrieren. Die großen Evangelisationserfolge Moodys in England ließen bei vielen nun die Sehnsucht wach werden, auch in Deutschland ähnliche Massenaufbrüche zu erleben. Nachdem Robert Pearsall Smith bei seiner Vortragsreise durch Deutschland im Frühjahr 1875 vor großen Versammlungen nicht nur zur Heiligung, sondern auch zur völligen Hingabe im Sinne einer ersten Bekehrung aufgerufen hatte, wuchs hier die Sehnsucht nach organisierter evangelistischer Arbeit in Deutschland.
Der Bonner Theologieprofessor Theodor Christlieb (1833-1889) war der erste, der die konkreten Planungen vorantrieb. Er war davon überzeugt, dass die Evangelische Kirche vor allem auch deshalb freikirchlich-amerikanische Methoden integrieren muss, um der Abwanderung von Kirchenmitgliedern zu den Methodisten entgegen zu wirken. Deshalb holte er 1882 den deutschstämmigen amerikanischen Evangelisten Friedrich von Schlümbach (1842-1901) um in Berlin fünf Monate lang systematisch zu evangelisieren. Dadurch ermutigt wurde 1884 der Schwabe Elias Schrenk (1831-1913) als erster Berufsevangelist Deutschlands fest angestellt. Schrenk war Missionar in Afrika gewesen, musste diesen Dienst aber aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. 1874/75 lebte er in England, wo er in der Begegnung mit Moody und Sankey endgültig zur Gewissheit kam, sich künftig der Evangelisation in Deutschland zu widmen. Er nahm auch an der Heiligungskonferenz in Brighton 1875 teil und hatte dort ein entscheidendes Heiligungserlebnis. Von 1884-1913 führte Schrenk in Deutschland nach Moodys Vorbild ca. 400 systematisch geplante Evangelisationen in meist säkularen Räumen durch, für die schon im Vorfeld intensiv durch Anzeigen, Plakate und Handzettel geworben wurde (was bis dahin in Deutschland unüblich war). Meistens dauerten die Evangelisationen 14 Tage, es gab ein „Rahmenprogramm, eine einstündige evangelistische Ansprache, und „Nachversammlungen“.
Zur Koordination der evangelistischen Bemühungen in Deutschland wurde 1886 auf Anregung von Theodor Christlieb der Deutsche Evangelisationsverein gegründet, der noch im gleichen Jahr eine eigene Ausbildungsstätte für Berufsevangelisten (die keine Pfarrer waren!) initiierte, die Evangelistenschule Johanneum (erst Bonn, dann Wuppertal).
Neben Schrenk traten bald andere deutschen Evangelisten, in erster Linie Samuel Keller, der eine immense literarische und evangelistische Tätigkeit entfaltete. Ferner ist der Chrischona-Absolvent und Begründer der Deutschen Zeltmission Jakob Vetter zu nennen, der 1902 mit groß angelegten Zelteinsätzen begann. Der bekannteste deutsche Evangelist in der Generation nach Schrenk wurde Ernst Modersohn (1870-1948). Die Erfolge der Evangelisationen führten zu vielen Versammlungen von Bekehrten, die zum größten Teil als Landeskirchliche Gemeinschaften organisiert wurden. Ähnliche Parallelentwicklungen gab es aber auch im freikirchlichen Bereich.
Neben den Großevangelisationen entwickelten sich vielfältige Formen von evangelistischer Zielgruppenarbeit. Im Bereich der Jugendarbeit kam es 1883 in Berlin zur Gründung des ersten deutschen CVJM und 1894 zum ersten deutschen EC-Jugendbund in Bad Salzuflen. Insbesondere diese Bewegung des Jugendbunds für Entschiedenes Christentum (EC) prägte viele tausend Jugendliche mit der Theologie der Heiligungsbewegung. 1883 kam es auch zur Gründung des ersten Schülerbibelkreises und 1890 wurde die Deutsche Christliche Studentenvereinigung (DCSV) gegründet, was später in die Arbeit der heutigen SMD mündete. Daneben entstanden für vielerlei Berufsgruppen spezielle evangelistische Vereine (Postbeamte, Bäcker, Soldaten, Seemänner usw.).
Alle Evangelisten der Gemeinschaftsbewegung waren dabei überzeugte Anhänger der Heiligungsbewegung. Für sie waren „Seelenrettung“ (Evangelisation) und „Seelenpflege“ (Heiligung) eine untrennbare Einheit. Es galt der Grundsatz, dass jeder in der Heiligung lebende Christ sich automatisch auch als Evangelist versteht. Gelebte Heiligung sollte sich geradezu darin erweisen, dass man von Gott im evangelistischen Dienst gebraucht wurde. Nur aufgrund dieser evangelistischen Leidenschaft vieler Gemeinschaftsleute konnten die Massenevangelisationen überhaupt funktionieren, da so genügend Mitarbeiter für die Vorbereitung, Durchführung und Nacharbeit bereitstanden.
Die Heilungsbewegung
Neben den beiden großen Themen Heiligung und Evangelisation muss das Thema „Krankenheilung“ als dritter Schwerpunkt der geistlichen Erneuerung gegen Ende des 19.Jahrhunderts betont werden, so dass man teilweise sogar von einer gesonderten „Heilungsbewegung“ sprechen kann.
Bedeutender Vorläufer der Heilungsbewegung in Deutschland war Johann Christoph Blumhardt (1805-1880). Als Pfarrer von Möttlingen erlebte er einen Durchbruch in der Seelsorge an der okkult belasteten Gottliebin Dittus, welcher zu einer großen geistlichen Bewegung in Württemberg führte. Blumhardt hatte die Gabe der Krankenheilung und gründete 1852 in Bad Boll ein Heilungszentrum mit 150 Plätzen in dem viele gut bezeugte Heilungen körperlich kranker Menschen durch Seelsorge und Gebet geschahen. Blumhardt hatte eine durchaus nüchterne Sicht für die Realität von Glaubensheilungen, arbeitete selbstverständlich auch mit Ärzten zusammen, konnte aber nicht verhindern, dass sich zum Teil auch schwärmerische Erwartungen an sein Wirken knüpften. Er selbst betonte noch nicht so sehr die Heiligung des Menschen als Heilungsvoraussetzung, sondern er war einfach überzeugt, dass der Sieg Jesu über die gefallene Welt sich durchsetzen wird.
Die erste Krankenheilerin im Sinne der Heiligungsbewegung war Dorothea Trudel (1813-1862) aus Männedorf in der Schweiz. Sie war überzeugt davon, dass die vollkommene Heiligung auch körperliche Auswirkungen haben muss, so dass Krankheiten (die immer ein Ausdruck von Sünde sind!) verschwinden werden! Seit 1851 führte sie am Zürichsee ein geistliches Erholungsheim, in dem es durch ihr Gebetswirken zu unzähligen Glaubensheilungen kam. Im gleichen Sinn wirkte dort ihr Nachfolger Samuel Zeller (1834-1912). Viele führende Gemeinschaftsleute wie Stockmayer, Schrenk und Seitz bezeugten, hier Heilung von Krankheitsnot gefunden zu haben. Daneben entstanden eine Fülle von weiteren so genannten „Erholungsheimen“, in welchen mal radikaler, mal gemäßigter die Botschaft der Glaubensheilung durch völlige Hingabe an Gott gepredigt wurde. Dadurch verbreitete sich in Teilen der deutschen Gemeinschaftsbewegung die Überzeugung, dass man als geheiligter Christ auf ärztliche Hilfe und Medikamente völlig verzichten könne. Vor allem Otto Stockmayer setzte diese Linie dann in seinem einflussreichen Erholungsheim in Hauptwil seit 1878 fort. Später wurde vor allem Johannes Seitz (1839-1922) ein bekannter Vertreter der Glaubensheilung, der im Jahr 1900 in Teichwolframsdorf in Sachsen ein Erholungsheim mit 100 Zimmern eröffnete.
Generell wurde betont, dass Menschen nicht „gesundgebetetâ€? werden, sondern einfach seelsorgerlich ermutigt, im Glauben auch ihren Leib völlig dem Herrn anzubefehlen. Es wurde von allen Vertretern festgehalten, dass Gott frei ist, Krankheiten auch als Züchtigungen zuzulassen. Außerdem war man überzeugt, dass Heilungen in den inneren Kreis der Gemeinde Jesu gehören. Heilungserfolge wurden nicht für die evangelistische Außenwerbung genutzt.
Insgesamt ergibt sich ein gemischtes Bild der Heilungsbewegung. Auf der einen Seite muss man die Suche nach Wegen zur alternativen Krankenheilung auf dem Hintergrund der katastrophalen medizinischen Versorgung im 19.Jahrhundert würdigen als eine starke soziale Komponente der Heiligungsbewegung. Kranke wurden unbürokratisch in die Erholungsheime aufgenommen, auch wenn sie keine Christen waren und nur wenig Geld zur Verfügung hatten. Für viele ärztlich gesehen hoffnungslose Fälle war dies eine wichtige Form ganzheitlicher Betreuung.
Problematisch war aber der Gedanke, Gott allein als Arzt des Christen zu bezeichnen. Stockmayer z.B. gestand anderen die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe zu, für sich selbst blieb er jedoch dabei, dass Gott ihn durch Krankheiten züchtigen so wie er sich durch Heilungen verherrlichen dürfe. Leider kam es aber durch solche Überzeugungen immer wieder auch zu tragischen Todesfällen. So lehnte z.B. auch der Gründer des Vandsburger Werkes, Ferdinand Blazejewski, im Mai 1900, als er schwer erkrankte, jegliche ärztliche Hilfe mit dem Hinweis „Ich hab meinen Arzt!“ ab und verstarb.
Dadurch kam es auch im Bereich der Gemeinschaftsbewegung immer wieder zu offener Kritik an überzogenen Heilungserwartungen, vor allem, wenn Menschen, die nicht geheilt wurden, implizit oder explizit deutlich gemacht wurde, dass dies nur an ihrem mangelndem Glauben liegen könne.
Dabei gab es wie in der Frage der Heiligung auch, große theologische Unterschiede in Bezug auf die Heilungserwartungen. Gruppierungen, die wie die Keswick-Bewegung eher von einem langsam wachsenden Heiligungsprozess ausgingen, erwarteten auch bei Krankheiten eher langsame Heilungsprozesse. Andere, welche eine spontane Geistestaufe lehrten, vertraten eher die Erwartung von plötzlichen Heilungen. Ein Teil der führenden Gemeinschaftsleute stand dem gesamten Thema Glaubensheilung sowieso eher distanziert gegenüber (Rappard, Pearsall Smith usw.).
Interessant ist, dass in der Frage der Glaubensheilungen die Impulse nicht aus dem angloamerikanischen Bereich kamen, sondern sich im deutschsprachigen Bereich eigenständig entwickelt haben und von hier aus in die USA und nach England exportiert wurden. 1873 reisten die Amerikaner Charles Cullis und William Boardman (der theologische Impulsgeber der Heiligungsbewegung!) nach Europa um die Heilungsbewegung kennen zu lernen. Bei Cullis führte dies zu einer intensiven Heilungsarbeit in Boston, und Boardman schrieb 1881 das Buch „The Lord that Healeth Thee“ in dem er die theologischen Grundlagen für die Glaubensheilung entwickelte. 1882 eröffnete er in London „Beth-Shan“ (Haus der Ruhe) das bekannteste Erholungsheim Englands, bei dem neben dem Gebet um Heilung allerdings auf Medikamente nicht verzichtet wurde.
Das Thema Glaubensheilung trat in der deutschen Gemeinschaftsbewegung ab 1910 dann stark in den Hintergrund. Dies lag daran, dass das Thema gemeinsam mit allen anderen körperlichen Manifestationen des Heiligen Geistes schon bald als etwas „pfingstlerisches“ betrachtet wurde, von dem man sich mehr und mehr distanzierte. Durch den Bruch zwischen Pfingstbewegung und Gemeinschaftsbewegung um 1910 sortierten sich somit auch die Befürworter und Gegner der Heilungsbewegung, so dass im weiteren Verlauf des 20. Jahrhundert das Thema Glaubensheilung nur noch als ein typisch pfingstlerisches oder charismatisches Thema betrachtet wurde.
Die Gründung der organisierten Gemeinschaftsbewegung
In den 1880er Jahren kam es allmählich zu einer organisatorischen Gestaltwerdung der Gemeinschaftsbewegung. Nach vorbereitenden Sitzungen unter der Führung von Theodor Christlieb und Elias Schrenk wurde zu einer Pfingstkonferenz 1888 im Predigtsaal der Herrnhuter Brüdergemeine von Gnadau bei Magdeburg eingeladen, um die innerkirchliche Erneuerung unter dem Blickwinkel der Themen Evangelisation und Heiligung zu stärken. Damit sollte unter anderem auch bewusst verhindert werden, dass die Heiligungsbewegung zu Abwanderungsbewegungen zu den Freikirchen führt. Alle zwei Jahre fanden nun diese „Gnadauer Pfingstkonferenzen“ mit theologisch klärenden und richtungsweisenden Vorträgen statt (ab 1906 dann jährlich). 1891 begann man mit der Herausgabe des Monatsblattes Philadelphia, welches die bestehenden und neu entstehenden Gemeinschaftskreise miteinander verband. 1897 kam es schließlich zur offiziellen Gründung des Deutschen Verbandes für Gemeinschaftspflege und Evangelisation (kurz Gnadauer Verband) als Dachorganisation der mittlerweile vielfältig entstanden pietistischen Werke. Dabei war die deutsche Gemeinschaftsbewegung um die Jahrhundertwende durchaus kein homogenes Gebilde. Die innere Spannung entstand vor allem aus dem Gegensatz der beiden Hauptwurzeln der Bewegung, dem deutschen Altpietismus und der angelsächsischen Heiligungsbewegung. Erst ihre Verschmelzung brachte der Gemeinschaftsbewegung ihr eigenes Gepräge und unterschied sie von den Erweckungen vor 1870. Als kurze Beschreibung der eigenen Verhältnisbestimmung zur Kirche wurde im Laufe der Zeit die so genannte Christliebsche Formel zum geflügelten Wort: „In der Kirche, wenn möglich mit der Kirche, aber nicht unter der Kirche.“
Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Identitätsstiftung der deutschen Gemeinschaftsbewegung stellte das 1892 zum ersten mal erschienene Reichsliederbuch dar, von dem bis 1930 ca. 2,4 Millionen Exemplare verkauft wurden. Hierin verband sich das Liedgut des deutschen Pietismus und der Erweckungsbewegung mit den Heilsliedern der angloamerikanischen Heiligungsbewegung. Nachdem es schon vorher weit verbreitet war, wurden die Reichslieder zum einheitlichen Liederbuch im Gnadauer Verband erklärt.
Besondere Merkmale der deutschen Gemeinschaftsbewegung
Die zweite große Erweckung des 19. Jahrhunderts bekam durch ihre organisatorische Zusammenfassung in der Gemeinschaftsbewegung eine größere innere Geschlossenheit. Dies wurde wesentlich durch die Gründung des Deutschen Reiches 1871 erleichtert.
Die Gemeinschaftsbewegung ist dadurch entstanden, dass die noch bestehenden altpietistischen Kreise der Erweckungsbewegung durch die Einflüsse der angloamerikanischen Heiligungs- und Evangelisationsbewegung neu belebt und theologisch, sowie in der praktischen Arbeitsweise verändert wurden. Dies zeigte sich a. in der Arbeitsform der großen Konferenzen und Evangelisationen, sowie b. in einer viel stärkeren Betonung der Themen Evangelisation und Heiligung.
Ein großer Teil der Führer Gnadaus waren landeskirchliche Pfarrer; dennoch ergab sich eine viel größere Distanz zur verfassten Volkskirche als bisher. Offiziell dachten die allermeisten nicht daran, sich von der Kirche zu trennen, faktisch begann aber ein Weg zunehmender Verselbständigung der Gemeinschaftsarbeiten von den örtlichen Kirchengemeinden.
In politischer Hinsicht legte sich der Großteil der Gemeinschaftsbewegung große Zurückhaltung auf. Allgemeiner Kulturpessimismus (oft dispensationalistisch motiviert) und Furcht, sich zu sehr mit weltlichen Angelegenheiten zu beschäftigen, standen im Hintergrund.
Auch der Abstand zur Gegenwartskultur vergrößerte sich. Viele Kreise waren von prinzipieller Abgrenzung beherrscht, vor allem das Tanzen gewann Symbolcharakter, aber auch Alkohol und Tabak wurden oft prinzipiell abgelehnt. Man entfernte sich dadurch allerdings von der Lebenswelt der entkirchlichten Massen und es kam zu keinem evangelistischen Durchbruch.
Zur Theologie bekamen die Gemeinschaftskreise zum allergrößten Teil überhaupt kein Verhältnis. Die Nähe zu positiv-konservativen Theologen wurde kaum gesucht. Ein so genannter „Eisenacher Bund“ von gläubigen Theologieprofessoren versuchte seit 1902 vergeblich dem entgegenzusteuern. Auch die eigenen Ausbildungsstätten legten lange nur geringen Wert auf eine gründliche theologische Ausbildung. Theologiekritik konnte sich bis hin zu Aussagen wie „Alle Theologie ist Gift“ steigern. Damit verloren die Gemeinschaftskreise endgültig die Verbindungen zu gläubigen Theologen in Kirche und Universität — unmittelbar vor Beginn der Pfingstbewegung.
Neupietistische Missionsgesellschaften: Die Glaubensmissionen
1. Die Heiligungsbewegung als Wurzel der Glaubensmissionen
Die Erweckungsbewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte die klassischen Missionsgesellschaften hervor. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es dann aber zu Neugründungen von ganz andersartigen Missionsgesellschaften, die man als „Glaubensmissionen“ bezeichnet. Sie waren geprägt von Frömmigkeit und Theologie der so genannten Heiligungsbewegung. Diese hatte ihre Wurzeln in John Wesleys Lehre, dass der Christ nach der ersten Stufe der Rechtfertigung auch noch eine zweite Stufe der Heiligung erreichen müsse, in der es kein bewusstes Sündigen mehr gebe. Der amerikanische Evangelist Charles Finney (1792-1875) führte diesen Ansatz um 1830 zur Lehre vom so genannten „Higher Christian Lifeâ€? weiter, indem er die Meinung vertrat, dass sich der Mensch mit freiem Willen nicht nur bekehren, sondern auch für ein weiteres Heiligungsleben entscheiden muss. Erst darin komme das Christsein zu seiner eigentlichen Bestimmung. Diese Lehre führte seit den 1850er Jahren in den USA zu einer konfessionsübergreifenden Erweckung, die man als die angloamerikanische Heiligungsbewegung bezeichnet. Der Eintritt in diese zweite Stufe eines geheiligten Lebens wurde dabei von vielen mit einem spontanen, manchmal ekstatischen Gefühlserlebnis verbunden („the second blessing“). Systematisch wurde diese Linie weitergeführt von William E. Boardman, in seinem weit verbreiteten Buch The Higher Christian Life (1858) und vom Ehepaar Robert Pearsall Smith (1827-1899) und Hannah Whitall Smith (1832-1911). Sie führten 1874/75 große Heiligungskongresse in Oxford und Brighton durch. Eine zusätzliche Vortragsreise Smiths durch Deutschland im Frühjahr 1875 brachte die Heiligungsbewegung auch hier zum Durchbruch. Ihre Lehre, dass die Heiligung des Christen nicht durch ein tägliches Mühen gelingt, sondern durch eine totale Hingabe an Gott, auf die er mit einem kraftgebenden Erlebnis antworten wird, wurde von vielen als Befreiung angesehen. In solcher Weise erfüllt vom Heiligen Geist entstand nun auch in manchen Kreisen der Wunsch neue Glaubenswagnisse in Bezug auf die Äußere Mission anzugehen.
2. Die Vorläufer der Glaubensmissionen: Die Freimissionare
Zunächst trat das Phänomen auf, dass einzelne Persönlichkeiten sich voller Gottvertrauen auf eigene Faust auf den Weg in die Mission machten. Diese so genannten Freimissionare waren „Missionare aus charismatischem Selbstrecht“ (Klaus Fiedler). Sie fühlten sich unmittelbar von Gott gesandt und waren theologisch meist von der Brüderbewegung geprägt, das heißt, sie lehnten alle menschlichen Strukturen und Organisationen als Fehlwege ab. Die späteren Glaubensmissionen lassen sich als Korrektur dieser Individualisten verstehen.
Anthony Noris Groves (1795-1853) war ein Zahnarzt, der nach Persien ging und dort eine Bibelübersetzung anfertigte. Er lebte nach dem „Glaubensprinzip“, d.h. er verzichtete auf ein regelmäßiges Gehalt und bat nicht um Spenden, sondern vertraute allein darauf, dass Gott ihn als Antwort auf Gebete versorgen würde. Indirekt sollte damit ein moderner Gottesbeweis geschaffen werden. Groves’ Schwager Georg Müller (1805-1898) baute in Bristol eine Waisenhausarbeit auf diesem Glaubensprinzip auf, wobei allerdings seine regelmäßigen Berichte über die Not in den Waisenhäusern als indirekte Spendenaufrufe wirkten.
Der bekannteste deutsche „Freimissionar“ war Karl Gützlaff (1803-1851). Er wurde zunächst als Missionar bei Johannes Jähnicke auf dem Berliner Missionsseminar ausgebildet, ging dann mit der Rotterdamer Mission nach Java und lernte dort Chinesen kennen. Dies führte bei ihm zu dem intensiven Wunsch in China zu missionieren, was aber von seiner Missionsgesellschaft abgelehnt wurde. Daraufhin machte er sich selbständig und begann die Bibel ins Chinesische zu übersetzen. Auf einer chinesischen Dschunke unternimmt er 1831-33 drei Reisen entlang der chinesischen Küste, und gelangt schließlich tatsächlich in das ansonsten für Missionare verschlossene China. Dort bildet er in den Folgejahren 300 einheimische Evangelisten aus, die Bibeln und Traktate bis in weit entlegene Provinzen bringen. Dadurch wurde er zum entscheidenden Impulsgeber der China-Inland-Mission.
3. Hudson Taylor – Initiator der Glaubensmissions-Idee
Als eigentlicher Begründer der Glaubensmissionen gilt der Engländer (James) Hudson Taylor (1832-1905). Er gilt als einer der bedeutendsten Missionare aller Zeiten.
Taylor wuchs in einem frommen methodistischen Elternhaus auf und erzählte Besuchern schon mit vier Jahren, dass er China-Missionar werden wolle. Nachdem er sich mit 17 zunächst vom Glauben abgewandt hatte, bekehrte er sich noch im selben Jahr (1849). Nun bereitete er sich zielstrebig auf einen Weg nach China vor, indem er zunächst eine medizinische Ausbildung machte. In einer Offenen Brüdergemeinde ließ er sich taufen und übernahm dort Georg Müllers „Glaubensprinzip“, d.h. er vertraute in Mangelsituationen ganz auf Gebetserhörungen. Taylor war nun stark von der Theologie der Heiligungsbewegung geprägt und pflegte einen asketischen Lebensstil.
In einem Anatomiekurs infizierte sich Taylor lebensgefährlich an einer septischen Leiche und war in Todesgefahr, doch er wurde geheilt.
1853 erreichte die (falsche!) Nachricht Europa, dass Hung, ein bekennender Christ, neuer Kaiser von China geworden sei und China nun zu einem christlichen Land machen wolle. Ohne, dass Taylor sein Medizinstudium beendet hatte, reiste er nun sofort mit der China-Evangelisations-Gesellschaft (CES) nach Shanghai aus. Dort kam er allerdings auf völlig unvorbereiteten Boden — mitten in einen Bürgerkrieg hinein. Er durchlebte eine tiefe Frustration, aber fing an Chinesisch zu lernen und auf den Flüssen mit einem Hausboot ins Landesinnere zu fahren, das noch nie ein protestantischer Missionar betreten hatte. Dort betreute er Chinesen ärztlich und verteilte Traktate. Als er bemerkte, dass die Bevölkerung mehr an seiner westlichen Kleidung und Lebensweise als an seiner Botschaft interessiert war, fing an sich (nach dem Vorbild der jesuitischen Missionare) chinesisch zu kleiden, und tatsächlich öffneten sich nun immer mehr Chinesen seiner Predigt. 1857 trennte er sich von seiner Missionsgesellschaft und schlug sich als Freimissionar in Ningpo durch. Nachdem er schon zwei gescheiterte Verlobungen mit jungen Damen aus England hinter sich hatte, traf er nun hier die Lehrerin Maria Jane Dyer, die er 1858 heiratete und die zu einer wichtigen Stütze seiner Arbeit wurde.
1860 kehrten die beiden zu einem 5jährigen Heimataufenthalt zurück und Taylor schloss sein Medizinstudium ab. Nun begann er eine eigene Missionsgesellschaft aufzubauen und im Jahr 1865 konnte die China Inland Mission (CIM) offiziell gegründet werden. Als Mission nach dem Glaubensprinzip erhielten die Missionare kein regelmäßiges Gehalt und man unternahm keinerlei Spendenaufrufe. Die Mission wollte völlig abhängig von Gottes Fürsorge sein.
1866 begann Familie Taylor mit 23 Missionaren die Arbeit in China. Zunächst kam es zu starken Spannungen innerhalb der Missionarsgemeinschaft, die nur durch den tragischen Tod von Taylors ältester Tochter wieder zusammen fanden. 1868 wurde das Missionshaus von Chinesen angegriffen und in Brand gesetzt, andere Missionare kritisierten die Arbeit Taylors heftig, die Unterstützung aus England bröckelte ab. In dieser äußerst angespannten Situation, die sogar zu Selbstmordgedanken führte, hatte Taylor 1869 eine entscheidende Heiligungserkenntnis, durch die er fortan gelassen und im völligen Vertrauen auf Jesus leben konnte. Dadurch konnte er es verkraften, dass 1870 zwei seiner Kinder und seine Frau Maria starben.
1871 fuhr er für ein Heimatjahr nach England, brachte die verbliebenen drei Kinder in ein Internat und heiratete die Missionarin Jennie Faulding. In der Folgezeit wuchs die Arbeit der CIM unter großen Schwierigkeiten weiter. Die Missionare trugen einheimische Kleidung und Frauen wurden als Missionarinnen selbständig verantwortlich ausgesandt. Taylor war von der Überzeugung getrieben, dass jeden Tag über 1000 Chinesen verloren gingen, weil sie das Evangelium nie gehört hatten. Unermüdlich arbeitete er daran, in alle chinesischen Provinzen Missionare zu schicken, was bereits 1882 erreicht war. Das Ziel war dabei in erster Linie die Verkündigung der Botschaft. Ein zielgerichteter Gemeindeaufbau und eine strategische Mitarbeiterausbildung wurden zunächst als sekundär erachtet. 1895 waren bereits 640 Missionare der CIM in China unterwegs. Im Jahr 1900 kam es dann allerdings in China zum Boxeraufstand, bei dem ein kaiserlicher Erlass den Tod aller Ausländer und die Auslöschung des Christentums forderte. Über 100 Missionare der CIM wurden dabei brutal ermordet, was für Taylor kaum zu verkraften war. 1905 starb er in China. Dennoch wuchs die CIM zur weltweit größten Missionsgesellschaft heran. Im Jahr 1934 erreichte sie mit 1368 Missionaren den Höhepunkt. 1950 wurden durch die kommunistische Revolution Maos schließlich alle Ausländer aus China ausgewiesen, d.h. die Missionare mussten ausweichen und verteilten sich über ganz Ostasien. 1964 gab man sich den neuen Namen Überseeische Missionsgemeinschaft (ÜMG / OMF).
Viele deutschsprachige Glaubensmissionen entstanden nach dem Vorbild der CIM, wie z.B. die Liebenzeller und auch die Marburger Mission, die zunächst unter der Koordination der CIM eigenständig Provinzen in China als Arbeitsgebiete zugewiesen bekommen hatten.
4. Die Grundsätze der China Inland Mission
Die Mission ist interdenominationell. Missionare aus allen evangelischen Kirchen können in ihr mitarbeiten, wenn sie der Glaubensgrundlage zustimmen.
Fragen der Kirchenordnung sind sekundär und auf dem Missionsfeld pragmatisch zu lösen.
Missionare sind nicht Angestellte, sondern Mitglieder der Mission.
Missionare bekommen kein Gehalt, sondern erwarten im Glauben, dass Gott sie mit allem Nötigen versorgt („Glaubensprinzip”).
Missionare mit unterschiedlicher Vorbildung sind gleichermaßen willkommen.
Ordinierte und nicht ordinierte Missionare sind in jeder Hinsicht gleichgestellt.
Ehefrauen gelten als Missionare und haben dieselben Möglichkeiten wie Männer.
Ledige Frauen haben dieselben Möglichkeiten der Missionsarbeit wie Männer und können auch im selbständigen evangelistischen Pionierdienst arbeiten.
Die Missionare identifizieren sich soweit wie eben möglich in ihren Lebensgewohnheiten mit der Kultur des Gastlandes. So tragen sie z. B. chinesische Kleidung.
Missionare müssen bereit sein zu Verzicht, Leiden und Opfer.
Verkündigung hat Vorrang vor institutioneller Arbeit.
Erste Priorität der evangelistischen Arbeit ist es, allen die Chance zu geben, das Evangelium wenigstens einmal zu hören. Deswegen steht die evangelistische Reisepredigt im Zentrum.
Die Bekehrten sind in Gemeinden zu sammeln und zur Ausweitung des Dienstes einzusetzen.
Die Mission ist international.
Die Leitung der Mission ist zentralistisch und liegt auf dem Missionsfeld. Die Heimatzentralen der Mission sind nur für die Vertretung der Belange der Mission im jeweiligen Land zuständig.
5. Ein Vergleich der Missionsprinzipien
Die Missionare der klassischen deutschen Missionsgesellschaften erhielten ein regelmäßiges festes Gehalt, die Missionare der China-Inland-Mission hatten kein garantiertes Einkommen.
Die klassischen Missionsgesellschaften haben bei Bedarf auch Schulden gemacht, die China-Inland-Mission hat aus Prinzip keine Schulden gemacht.
Bei der China-Inland-Mission musste jeder Missionar von einer persönlichen Berufung Gottes wissen, bei den klassischen Missionen galt die Ordination durch die Heimatkirche oder Missionsgesellschaft als göttliche Berufung.
Die meisten Missionsgesellschaften um 1860 hatten eine konfessionell-homogene Mitarbeiterschaft, bei der China-Inland-Mission arbeiteten Missionare aus allen Bekenntnissen.
Die klassischen Missionsgesellschaften hatten eine national-homogene Mitarbeiterschaft, bei der China-Inland-Mission arbeiteten Missionare aus verschiedenen Nationen zusammen.
Die klassischen Missionsgesellschaften sandten hauptsächlich gebildete Fachkräfte, die China-Inland-Mission rekrutierte auch viele Mitarbeiter aus unteren Bildungsschichten.
Bei den klassischen Missionsgesellschaften galten die Ehefrauen als Unterstützung der Männer. Der Einsatz lediger Frauen wurde ganz abgelehnt. Die China-Inland-Mission betrachtete die Ehefrauen als selbständige Missionarinnen und beschäftigte auch ledige Frauen in der Pioniermission.
Die Leitung der klassischen Missionen bestand in einem Heimatkomitee, welches die Missionare anstellte. Die China-Inland-Mission wurde auf dem Missionsfeld vom Missionarsteam selbst geleitet.
Die Missionare der China-Inland-Mission passten sich der Kultur des Missionslandes weitgehend an, dies war vorher in der protestantischen Mission nicht üblich.
Die klassischen Missionsgesellschaften nahmen bei Bedarf auch gerne die gewaltsame Unterstützung des Staates in Anspruch. Die China-Inland-Mission lehnte das aus Prinzip ab.
Im Blick auf die Missionsmethode konzentrierten sich die klassischen Missionen auf die pädagogische und medizinische Arbeit auf den Missionsstationen, die China-Inland-Mission betrieb dagegen vor allem die evangelistische Reisepredigt.
Die Eschatologie der älteren Missionen war eher postmillenialistisch, d.h. man erwartete durch die Missionsarbeit die Christianisierung der Welt, was zu Frieden und Fortschrott führen würde. Hudson Taylor dagegen hatte von der Brüderbewegung um John Nelson Darby eine prämillenialistische Eschatologie übernommen, d.h. man erwartete eine dramatische Verschlechterung der Weltverhältnisse, die durch die nahe Wiederkunft Christi zum Ende kommt. Weltmission wurde im Sinne der Erfüllung von Mt 24,14 als Beschleunigung der Wiederkunft Christi verstanden.
Hudson Taylors Soteriologie war radikal exklusivistisch, d.h. er war der festen Überzeugung, dass es nur durch die persönliche Bekehrung zu Christus Heil gibt. Jeder Mensch, der nie das Evangelium gehört hat, oder sich nicht für ein Leben im Glauben an Jesus entschieden hat, geht ewig verloren. Diese Theologie gab den frühen Glaubensmissionen eine starke Leidenschaft und Dynamik.
Neu war, dass die Glaubensmissionen nach dem Vorbild der CIM ihre vordringliche Aufgabe darin sahen, das Evangelium zu bisher unerreichten Völkern zu tragen.
6. Die Wirkungsgeschichte der Glaubensmissionen
Im deutschsprachigen Raum führte das Vorbild der China-Inland-Mission im Laufe der Zeit zu einer Vielzahl von ähnlich geprägten Missionsgründungen.
1882: Neukirchener Mission
1889: Deutsche Allianz-Mission (FeG)
1890: Die Mission der deutschen Baptisten
1895: Der Chinazweig der Pilgermission St.Chrischona
1899: Die Liebenzeller Mission
1900: Die Sudan-Pioniermission
… und viele andere.
Heute sind die meisten Glaubensmissionen Deutschlands in der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen (AEM) zusammen gefasst. Dazu gehören knapp 90 Werke, die im Bereich der Landeskirchen, Freikirchen und Gemeinschaften arbeiten, und die insgesamt weltweit 2900 Missionare betreut. Ausbildungszentrum ist die Akademie für Weltmission in Korntal.
Diesen Missionsgesellschaften ist bis heute gemeinsam:
Die Missionsmethode: Der Vorrang des evangelistischen Dienstes vor sozialer Arbeit (ohne diese aber zu vernachlässigen)
Das Missionsmotiv: Die Überzeugung, dass Menschen nur durch eine persönliche Bekehrung das ewige Heil bekommen.
Das Finanzierungsprinzip: Man lebt nicht von festen staatlichen oder kirchlichen Zuwendungen, sondern allein von Spenden der Missionsfreunde.
Die Trennung von Pfingstbewegung und Gemeinschaftsbewegung
1. Wegbereiter
Die Pfingstbewegung entwickelte sich in ihren Anfängen aus der weltweiten Heiligungsbewegung heraus. Vor allem unter den Einflüssen Finneys und Moodys streckten sich viele Gläubige nach der Erfahrung einer Geistestaufe aus. Vor allem Ruben Archer Torrey (1856-1928) verbreitete das Verständnis der Geistestaufe als Durchbruch zu einem höherem Glaubensniveau, auf dem ein Siegesleben über die Sünde und vermehrte Kraftausrüstung für den Dienst gegeben sei (Ähnlich auch Evan Roberts, Andrew Murray und Jonathan Paul). Freilich gab es auch einige Schwierigkeiten. Bedeutende Leiter bekannten die Erfahrung mehrfacher Geistestaufen wie Finney. Konnte man aus dem Zustand völliger Heiligung denn wieder herausfallen? Woran erkannte man, dass man die Geistestaufe hatte? Ist die Geistestaufe ein einmaliger Akt, oder im Sinne einer mehrfach möglichen Erfüllung mit dem Geist zu verstehen? In dieses Ringen hinein kam es unter dem jungen Bergmann Evan Roberts (1878-1947) in den Jahren 1905/06 zu einer großen Erweckung in Wales, die Hunderttausende erfasste. Bei den Zusammenkünften kam es oft zu tumultartigen Szenen, da viele Gottesdienste auf jede Ordnung verzichteten, um sich der unmittelbaren Geistesleitung zu überlassen. Es kam zu Schreien, Umfallen, Visionen und Prophetien, allerdings noch nicht zu Zungenreden. Roberts selbst zog sich nach nur zwei Jahren aus der Öffentlichkeit zurück; er hatte mehrere Nervenzusammenbrüche und depressive Zustände erlebt. Mit der Zeit sah er die vielen übernatürlichen Erfahrungen der Erweckung in einem kritischeren Licht, lebte Jahrzehnte lang überaus zurück gezogen und gab sich leidensmystischen Ideen und depressiven Zuständen hin. Doch viele von der damaligen Erweckung Berührte öffneten sich in der Folgezeit der Pfingstbewegung.
2. Zungenreden in Topeka
In der jüngeren Kirchengeschichte gab es sehr vereinzelt Beispiele von Glossolalie wie bei den französischen Karmisarden, den deutschen Inspirierten unter Friedrich Rock, den Irvingianern (Katholisch-Apostolische Kirche) sowie den Mormonen. Der Erweckungsprediger Charles F(ox) Parham (1873-1929) entwickelte nun im Jahr 1900 die Auffassung, dass nach Apg 2 allein die Zungenrede das beglaubigende Zeichen der Geistestaufe sei. Nachdem Parham seine neue Erkenntnis in der Bethel Bible School in Topeka (Kansas) verkündet hatte, betete er mit einigen Studenten intensiv um die Geistestaufe mit ihren Zeichen. Schließlich kam es am 1.1.1901 in der Tat zu einem Durchbruch, als die Studentin Agnes Ozman in Zungen zu reden begann. Wenige Tage später erlebten dies ungefähr die Hälfte der Studierenden und auch Parham selbst, was als Siegel der Geistestaufe interpretiert wurde.
3. Azusa Street 1906 – Der Beginn der Pfingstbewegung
Der endgültige Durchbruch dieser neuen Bewegung ist aber mit dem Wirken des Afro-Amerikaners William J(oseph) Seymour verknüpft. Dieser übernahm die Erkenntnisse Parhams und predigte sie, ohne selbst in Zungen reden zu können. Nach jahrelangem Suchen, Bitten und Fasten kam es schließlich zu einem dramatischen Durchbruch. Seymour zog nach Los Angeles, wo tatsächlich am 9.4.1906, nach fünf Wochen Predigttätigkeit, der erste Bekehrte in Zungen zu reden begann. Schnell folgten andere, so dass man in der Azusa-Street 312 ein leerstehendes Kirchengebäude mietete und mit (vor allem von Afro-Amerikanern besuchten) Versammlungen der Apostolic Faith Mission in Los Angeles begann, die schnell Aufsehen erregten. Es kam zu einer Massenbewegung von Tausenden, die unter Schreien, Umfallen, Tanzen und Zittern die Zungenrede empfingen, bald auch die Gabe der Heilung und der Prophetie zu haben beanspruchten. Von dort aus verbreiteten sich die Impulse rasend schnell in viele Teile der Welt. In Los Angeles bestand die ursprüngliche Bewegung nur drei Jahre lang. Aufgrund seiner Lehrauffassung, dass mit dem Geist Getaufte durch Sünde wieder ihr Heil verlören, weigerte sich Seymour, unterscheidend oder begrenzend die Entwicklungen zu steuern. Die ursprüngliche Gemeinde verlor sich binnen Kurzem in einer Vielzahl von Spaltungen. Bald hatte sich Seymour mit seinem Lehrer Parham überworfen, auch viele Lehrer der Geistestaufe wie Torrey lehnten die neue Bewegung entschieden ab. Aber die Anstöße der Azusa-Street, welche die Zungenrede kirchengeschichtlich zum ersten Mal als eine für alle Christen mögliche Geistesgabe behandelten, wirkten sich weltweit aus.
4. Die Bewegung erreicht Europa
Der norwegische Prediger Thomas Ball Barrat kam im Herbst 1906 in New York in eine Zungenrednerversammlung. Dort ließ er sich von einer Pastorenfrau aus Los Angeles und einem Norweger die Hände auflegen und begann in Zungen zu reden. Nachdem er Ende 1906 nach Norwegen zurückgekehrt war, traten auch dort in seinen Versammlungen in Christiania (Oslo) Zungenreden und Krankenheilungen auf. Auch in England und Indien kam es 1907 zu Aufbrüchen der Bewegung. Vor allem in Norwegen (Christiania, jetzt Oslo) fand die neue Bewegung raschen Eingang, ebenso in England, wo viele Kreise die sehnsüchtig auf eine große Erweckung warteten. 1907 erlebten in Indien einige Kreise ebenfalls einen pfingstlichen Durchbruch.
5. Der Beginn der Zungenbewegung in Deutschland
Es war vor allem die in der Gemeinschaftsbewegung durch die Ereignisse in Wales angeheizte starke Erwartung einer neuen Geistestaufe, die in Deutschland der Pfingstbewegung die Tür öffnete. Einige deutsche Vertreter der Heiligungsbewegung reisten deshalb 1907 nach Norwegen, um sich ein eigenes Bild von den neuen Aufbrüchen zu machen, so auch Emil Meyer, den Leiter der Hamburger Strandmission. Er bat die beiden Norwegerinnen Dagmar Gregersen und Agnes Telle mit nach Deutschland zu kommen. Ihr Auftreten führte in der Strandmission und in einem Jugendbund zu vereinzeltem Zungenreden. Emil Meyer bat dann den Evangelisten Heinrich Dallmeyer in Hamburg zu evangelisieren. Dort kam Dallmeyer in Kontakt mit den Norwegerinnen und begann mit ihnen zusammen zu arbeiten. Vom 7.7.-2.8.1907 evangelisierte Dallmeyer daraufhin mit den Norwegerinnen im Saal des Kasseler Blaukreuzvereins. Zunächst wurden vor allem in Gemeinschaftskreisen die Nachrichten von der neuen Bewegung mit offenen Herzen aufgenommen. In den ersten Tagen kamen die einflussreichen Gnadauer Elias Schrenk und Theodor Haarbeck persönlich nach Kassel und beurteilten die Bewegung als von Gott kommend. Doch mit zunehmender Dauer entwickelten die Versammlungen eine eigene Dynamik. Es kam zu anstößigen Phänomenen wie lautem Schreien, Zischen, Prophetien in der ersten Person Gottes . Die Prophetien bekamen einen immer härteren und drohenden Ton, Sünden wurden offenbart, allen, die sich versperrten, wurde mit Rauswurf gedroht. Dallmeyer sagte später, er hätte von den Norwegerinnen persönliche Offenbarungen erhalten, er solle die Versammlungen unbedingt fortsetzen, er müsse den Kontakt etwa mit Schrenk abbrechen, er solle verkünden, die Gabe der Geisterunterscheidung empfangen zu haben, usw. Die erste kritische Beurteilung von außen kam vom Prediger Otto Schopf (FEG). Die Freien evangelischen Gemeinden hatten in ihren Kreisen eine Reihe von Erfahrungen mit schwarmgeistigen Bewegungen gemacht, die sie nun besonders vorsichtig und hellhörig machten. Doch auch vielen Gnadauern kam zunehmend verdächtig klingendes zu Ohren. Elias Schrenk mahnte brieflich, die Versammlungen umgehend abzubrechen, ein falscher Geist sei eingedrungen. Schließlich wurden die Treffen auf Drängen der Kasseler Polizei beendet, da die Öffentlichkeit zunehmend Anstoß an den Aufregungen um die Treffen genommen hatte. Auch in Großalmerode kam es zu ähnlichen Veranstaltungen, die etwas weniger chaotisch verliefen. Nachdem die Allianzkonferenz in Bad Blankenburg sich von der neuen Kasseler Bewegung abgrenzte, war der Herbst 1907 geprägt von allgemeiner Verwirrung in der Gemeinschaftsbewegung. Auf der einen Seite standen — vor allem im Osten — die begeisterten Anhänger der neuen Bewegung, die sich einer großen Gruppe von Ablehnenden, Vorsichtigen und Enttäuschten gegenüber sahen.
6. Zögern, Abwarten und Schweigen
Ende August 1907 fand die Blankenburger Allianzkonferenz mit 2000 Teilnehmern statt. Viele Teilnehmer erhofften sich hier einen Durchbruch der Pfingstbewegung, doch das leitende Gremium setzte einen abwartend-ablehnenden Konferenzkurs durch. Im Oktober 1907 veröffentlichte Heinrich Dallmeyer (durch den die Zungenbewegung im Juli in Kassel zum Durchbruch gekommen war!) dann einen Widerruf, in welchem er die neue Bewegung als einen „Lügengeist“ bezeichnete. In dieser Situation verabredeten Befürworteten führende Gegner und Befürworter der neuen pfingstlichen Bewegung auf einer Konferenz in Barmen am 20.12.1907 zunächst einmal Schweigen über die Vorkommnisse und Einstellung jeglicher Propaganda. Auf der nächsten Gnadauer Pfingstkonferenz 1908 wagte man nicht, das heiße Eisen anzufassen, sondern beschäftigte sich zwei Jahre lang mit anderen Fragen. In dieser Zeit fand die Pfingstbewegung zu einer gewissen inneren Konsolidierung. Die Gnadauer hatten bald den Eindruck, dass die Pfingstler sich nicht an die getroffenen Absprachen hielten. Immer weitere Kreise der Gemeinschaftsbewegung wurde in den Sog der neuen Frömmigkeit hinein gezogen. Im Dezember 1908 kam es zur ersten Konferenz der Pfingstbewegung in Hamburg. Im Juli 1909 folgte die Mülheimer Pfingstkonferenz mit 1700 Teilnehmern. Die Nachrichten aus den USA und Indien sowie zunehmend negative Erfahrungen ließen allerdings auch eine Front der Gegner entstehen. Wachsende Spaltungen in den eigenen Kreisen, die Zeugnisse der Brüder Dallmeyer von den Geistbotschaften, die man als okkulte Beeinflussungen deutete, eigene Erfahrungen in der Seelsorge an „Belasteten“ vor allem bei Seitz und Stockmayer verdichteten das Gefühl, einem fremden Geist von unten zu begegnen. Die gemeinsame Ablehnung konzentrierte sich schließlich vor allem auch auf die Verkündigung von Jonathan Paul bezüglich der Lehre vom reinen Herzen, der Geisttaufe und möglicher Sündlosigkeit sowie die Unterscheidung verschiedener Klassen von Christen.
7. Die Berliner Erklärung 1909
Anfang August 1909 kam es zu einer zweitägigen vertraulichen Zusammenkunft von führenden Gegnern der Pfingstbewegung, wobei eine gemeinsame Konferenz in Berlin verabredet wurde, zu der die wichtigsten Führer Gnadaus wie auch andere wichtige Vertreter aus dem Bereich der evangelischen Allianz eingeladen waren (ca. 60 Personen). Nach 19-stündiger Beratung verabschiedete man am 15.9.1909 einmütig die Berliner Erklärung, die zu einer der bedeutendsten Erklärungen der neueren Kirchengeschichte werden sollte. Diese (maßgeblich von Schrenk, Schopf, Stockmayer und Michaelis) verfasste Erklärung war kein offizielles Bekenntnis weder von Gnadau noch von der Allianz (und ist insofern auch nicht rücknehmbar) aber das bedeutendste gemeinsame Wort des deutschen Neupietismus/Evangelikalismus, das dieser je verabschiedet hat. Berühmt wurden ihre (in dieser Einseitigkeit nicht unproblematischen) Sätze: die Pfingstbewegung ist nicht von oben, sondern von unten.“ Der Zusammenhang mit spiritistischen Phänomenen wurde herausgestellt. Im Blick auf die Geistesgaben differenzierte man, dass sie menschlich, dämonisch oder seelisch sein mögen. Ihre göttliche Herkunft können man jedenfalls nicht anerkennen. Der eigentliche Schwerpunkt der Erklärung ist jedoch die Ablehnung der Paulschen Lehre vom reinen Herzen und der möglichen Sündlosigkeit. Darum könne man Paul nicht mehr als Lehrer der Gemeinde Jesu anerkennen. Ausdrücklich bekennen die Verfasser ihre Mitschuld am Entstehen der neuen Lehre. Die Berliner Erklärung ist daher nicht nur als eine Beurteilung einer fremden Bewegung, sondern als kritische Bewältigung der eigenen Geschichte in der deutschen Heiligungsbewegung zu verstehen.
8. Polarisierungen
Die Pfingstler reagierten schon Ende September mit der Mülheimer Erklärung. Man räumte darin ein, dass es zu vielen unglücklichen Entgleisungen gekommen sei, gestand auch zu, dass es in Kassel und anderswo auch dämonischen Einfluss gegeben haben mag. Darin müsse man jedoch bedauerliche Fehlentwicklungen sehen, die den göttlichen Ursprung der Bewegung als solcher nicht in Frage stellen. Man bestritt, dass einzelne falsche Prophetien die Gabe der Prophetie als solche hinfällig machen könne. Die Kritik an Pauls Lehre von der Sündlosigkeit empfand man als Missverständnis. Gleichwohl wurde durch die Berliner Erklärung eine weitere Ausbreitung der Pfingstbewegung erst einmal gestoppt. Die allermeisten Zeitschriften aus dem Raum der Gemeinschaftsbewegung bekämpften inzwischen entschieden die neue Bewegung, ihre Vertreter wurden aus vielen Verbänden und Konferenzen ausgeschlossen bzw. diese gründeten zunehmend eigene pfingstliche Organisationen. Gnadau gelang der endgültige Befreiungsschlag auf der Gnadauer Pfingstkonferenz 1910, auf welcher der fast 80 jährige Elias Schrenk durch seine mit gründlicher Selbstkritik verbundene Absage an die Pfingstbewegung für die entscheidenden Akzente sorgte. Mit dem Vorsitzenden Walter Michaelis, so bedeutenden Patriarchen wie Schrenk, Stockmayer und Viebahn und anderen einflussreichen Personen wie Haarbeck und Seitz hatte die gesamte Gnadauer Spitze nun ihren eindeutigen Standpunkt gefunden. Neben entschiedenen Pfingstlern stand nun ein Block von entschiedenen Gegnern.
9. Die Neutralen
Es gab freilich auch eine nicht unbedeutende Minderheit, die den Weg der völligen Abgrenzung nicht mittragen wollten. Die so genannten „Neutralen“ lehnten zwar Lehre und Praxis der Pfingstler für sich persönlich ab, hielten aber die Dämonisierung für überzogen, wollten auch nicht jeden Kontakt abbrechen und waren für eine begrenzte Zusammenarbeit offen. Die einflussreichsten Vertreter dieser Richtung waren Ernst Modersohn, Jakob Vetter (Deutsche Zeltmission), Theophil Krawielitzki (DGD) und Heinrich Coerper (Liebenzell). Bei allen Genannten stand eine langjährige Freundschaft und Zusammenarbeit mit Jonathan Paul im Hintergrund, die sie die schroffe Verwerfung zunächst ablehnen ließ. Schließlich kam es sogar in Vandsburg Ende November 1910 zur Verabschiedung der Vandsburger Erklärungen, einem Einigungspapier zwischen Neutralen und Pfingstlern, das eine künftige Zusammenarbeit, aber auch gegenseitige Achtung der unterschiedlichen Standpunkt garantieren sollte. Diese Position ließ sich jedoch nicht lange halten. Auf der einen Seite wurden die Neutralen in Gnadau zunehmend kritisiert und unter Druck gesetzt. Auf der anderen Seite häuften sich aber auch problematische Erfahrungen mit der neuen Pfingstbewegung. Als in einer Sondersitzung des Gnadauer Vorstands am 24.1.1911 die Neutralen um Krawielitzki vor die Entscheidung Ablehnung oder Austritt gestellt wurden, trennten sie sich offiziell von der Pfingstbewegung.
10. Die weiteren Entwicklungen
Die deutschen Pfingstgemeinden blieben stets nur eine kleine Bewegung, die durch große Schwierigkeiten ging. Kurd Regehly erklärte schon 1911 seinen Rücktritt mit der Begründung, er halte 99% der Phänomene für das Ergebnis seelischer Überspanntheit, die er auch mit einer Nervenkrankheit in Zusammenhang brachte, die ihm weitere verantwortliches Mitarbeiten unmöglich machte. Eugen Edel bot 1919 seinen Rücktritt von allen Ämtern an nachdem offenbar wurde, dass seine Frau, die selbst viele Jahre lang im verkündigenden Dienst stand, seit Jahren im Ehebruch lebte. Der größte Schock war schließlich, dass Jonathan Paul 1919 ausdrücklich seine als Paulsche Lehren bekannt gewordenen Vorstellungen von der Heiligung widerrief. Unter dem neuen Leiter Carl Voget setzte nun ein betont nüchterner Kurs ein, der zu Korrekturen einer Reihe von Vorstellungen führte, so dass viele Gnadauer den Dissens in Lehrfragen schließlich als überwunden betrachteten. Vor allem der Mülheimer Verband bemühte sich zunehmend um eine Annäherung an Gnadau. Doch solche Bemühungen scheiterten schließlich am Streit um die Deutung der Kasseler Ereignisse. In Gnadau saß der Schock zu tief. Nachdrücklich wurde das Zeugnis der Gnadauer Väter Schrenk, Haarbeck und Stockmayer beschworen. Der langjährige Vorsitzende Walter Michaelis bekräftige diesen antischwärmerischen Kurs Gnadaus bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Unermüdlich betonte er die Hauptgründe: er verwarf die grundsätzliche Scheidung zwischen Gläubigen erster und zweiter Klasse. Dementsprechend abzulehnen sei auch die Vorstellung einer durch Zungenrede verbürgte Geisttaufe als Zugang zu einer höheren Form christlicher Existenz. Unter Berufung auf die reformatorische Rechtfertigungslehre, die nach dem Bruch mit den Pfingstlern eine größere Anerkennung in Gnadau fand, verschloss man sich so jeglicher Annäherung an die Pfingstler. Erst 1996 kam es zu einer offiziellen gemeinsamen Erklärung des Hauptvorstands der Deutschen Evangelischen Allianz und dem Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden.
Die Evangelische Allianz
Die Evangelische Allianz gilt heute als weltweiter und regionaler Dachverband aller evangelikalen Christen in Landes- und Freikirchen. Grob gesagt. In Allianzkreisen kann mitarbeiten, wer hinter der so genannten Glaubensbasis steht. Sie lautet:
Wir bekennen uns:
zur Allmacht und Gnade Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes in Schöpfung, Offenbarung, Erlösung, Endgericht und Vollendung.
zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift, ihrer völligen Zuverlässigkeit und höchsten Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung
zur völligen Sündhaftigkeit und Schuld des gefallenen Menschen, die ihn Gottes Zorn und Verdammnis aussetzen
zum stellvertretenden Opfer des menschgewordenen Gottessohnes als einziger und allgenugsamer Grundlage der Erlösung von der Schuld und Macht der Sünde und ihren Folgen
zur Rechtfertigung des Sünders allein durch die Gnade Gottes aufgrund des Glaubens an Jesus Christus, der gekreuzigt wurde und von den Toten auferstanden ist
zum Werk des Heiligen Geistes, welcher Bekehrung und Wiedergeburtdes Menschen bewirkt, im Gläubigen wohnt und ihn zur Heiligung befähigt
zum Priestertum aller Gläubigen, welche die weltweite Gemeinde bilden, den Leib, dessen Haupt Christus ist, und die durch seinen Befehl zur Verkündigung des Evangeliums in aller Welt verpflichtet ist
zur Erwartung der persönlichen, sichtbaren Wiederkunft des Herrn Jesus Christus in Macht und Herrlichkeit; zum Fortleben der von Gott gegebenen Personalität des Menschen; zur Auferstehung des Leibes zum Gericht und zum ewigen Leben der Erlösten in Herrlichkeit
In dieser Glaubensbasis werden die Kernpunkte reformatorischer Theologie (Dreieinigkeit, Schriftinspiration, Stellvertretung Jesu, Rechtfertigungslehre) verbunden mit den Kernanliegen pietistisch-evangelikaler Theologie (Bekehrung, Heiligung, allgemeines Priestertum und Evangelisation), sowie bewusst antiliberal festgehaltenen eschatologischen Lehrauffassungen (sichtbare Wiederkunft, personales ewiges Leben, leibliche Auferstehung, doppelter Ausgang des Endgerichts).
Alle näheren ekklesiologischen Fragen (Gemeindeform, Sakramentsverständnis) werden bewusst nicht angesprochen. Daher können sich konservative bekehrte evangelische Christen aus verschiedensten Gemeinden unter dieser Glaubensbasis verbinden.
Die Vorgeschichte in Schottland und England
Die Anfänge der Evangelischen Allianz gehen auf die schottische Erweckungsbewegung zurück. 1843 verließen 470 Pastoren unter Thomas Chalmers (1780-1847) die schottische Staatskirche und gründeten die Free Church of Scotland (‘the Evangelicals’). Man besann sich wieder auf die Grundwerte geistlichen Lebens. Im gleichen Jahr traf man sich aus mehreren schottischen Kirchen zu einer Versammlung in Edinburgh (Evangelicals, Baptists, Congregationalists). Man erinnerte sich an die grundsätzliche Einheit in Christus und so wurde die Idee zu einem evangelischen Kongress geboren. Darüber hinaus wollte man sich gegenüber dem wieder erstarkenden Katholizismus profilieren. So lud man 1845 aus allen protestantischen Kirchen von England, Wales, Schottland und Irland zu einem Vorbereitungstreffen für den ersten großen Allianzkongress in London nach Liverpool ein. Es kamen 216 Vertreter aus 20 Denominationen. Hier wurde sich darauf geeinigt, dass man niemanden zur Aufgabe seiner konfessionellen Überzeugungen zwingen und auch keine Vereinigung von Kirchen herbeiführen wollte, sondern lediglich eine Vereinigung einzelner Christen.
Die Gründung der Evangelischen Alllianz 1846 in London
Die Gründungsveranstaltung der Evangelical Alliance wurde der Londoner Kongress vom 19.8. bis 2.9.1846. Anwesend waren 920 Teilnehmer (786 aus GB, 87 aus Nordamerika, 11 aus Deutschland, 36 vom Rest der Welt) aus etwa 50 Denominationen. Es war das erste überdenominationelle Treffen des Protestantismus.
Man vereinbarte:
Die wesentliche Einheit der Christen sichtbar zu gestalten.
Ein theologisches Bekenntnis mit 9 Punkten als Basis der Allianz.
Die Förderung eines allgemeinen geistlichen und informativen Austauschs zu diversen Themen.
Die Gründung von Zweigvereinen zur Organisation dieser Einheit.
Im Abstand von 3-7 Jahren wurden in der Folgezeit in europäischen Großstädten Weltkonferenzen abgehalten.
Die Evangelische Allianz in Deutschland
In Deutschland lief die Evangelische Allianz etwas zögerlich an. Nur einzelne örtliche Vereine wurden gegründet, bis im September 1857 die 4.Weltkonferenz der Evangelischen Allianz in Berlin unter der Schirmherrschaft des preußischen Königs mit 1300 Teilnehmern stattfand. Hierbei ging es vor allem auch um die Frage der Religionsfreiheit für die evangelischen Freikirchen, die langsam in Deutschland Fuß fassten. Der deutsche Zweig gewinnt erst ab 1857 mit der Gründung des deutschen Zentralkomitees an Bedeutung. Als Organ entstand die Neue Evangelische Kirchenzeitung (1859-86). 1859 wurden die ersten Allianz-Gebetswochen in Deutschland durchgeführt und bis 1890 gab es in Deutschland mehrere regionale Allianzbünde, wie z.B. die Westdeutsche Evangelische Allianz (gegr. 1880).
Die Blankenburger Allianz
1886 lud die aus einer schottischen Familie stammende Anna von Weling zu einer Allianzkonferenz mit 28 Teilnehmern in das thüringische (Bad) Blankenburg ein. Die Teilnehmerzahl wuchs jährlich, so dass 1898 eine Halle für 650 Personen und 1906 eine Halle für 2000 Teilnehmer gebaut werden musste. Die Konferenzen hatten ein anderes Gepräge als alle sonstigen Allianztreffen in Deutschland. Es wurde viel Englisch gesprochen, die Weltmission war stark im Blickpunkt und man pflegte eine stärkere Distanz zur Volkskirche. Schon 1890 gründete Anna von Weling das Evangelische Allianzblatt, das in der Folgezeit immer wieder durch kirchenkritische Töne für Aufsehen sorgte. Der den Brüdergemeinden nahe stehende Dr. Baedeker wirkte hier prägend mit. 1898 trennte sich die Blankenburger Allianz offiziell vom gesamtdeutschen Zweig der Evangelischen Allianz. Man wurde stark von der Heiligungsbewegung erfasst, sprach sich aber 1907 sehr schnell gegen die aufkommende Pfingstbewegung aus. Erst nach dem zweiten Weltkrieg löste sich die unterschiedliche Prägung der Blankenburger Kreise und der anderen Allianzverbände langsam auf, so dass man wieder fusionierte.
Vor 1990 gab es zwei getrennte Einrichtungen, die „Evangelische Allianz in der DDR“ und die „Deutsche Evangelische Allianz e. V.“ mit Sitz in Stuttgart, die sich nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten ebenfalls wieder vereinigten, so dass seit 1991 der juristische Sitz der Deutschen Evangelischen Allianz in Bad Blankenburg lag. Nach dem Auszug des Alten- und Pflegeheimbereichs, den es seit dem 2. Weltkrieg im Evangelischen Allianzhaus in Bad Blankenburg gab, wurde 2004 zur Nutzung von Synergieeffekten die bis dahin immer noch in Stuttgart ansässige Geschäftsstelle der Deutschen Evangelischen Allianz nach Bad Blankenburg verlegt.
Generalsekretär: Hartmut Steeb
1. Vorsitzender: Jürgen Werth (Vorstandsvorsitzender von ERF-Medien)
2. Vorsitzender: Theo Schneider (Generalsekretär des Evang. Gnadauer Gemeinschaftsverbands)
Anliegen und Bereiche der Deutschen Evangelischen Allianz:
jährliche Allianz-Gebetswochen im Januar
Theologische Richtungsweisung (Arbeitskreis für evangelikale Theologie - AfeT)
Impulse zur Evangelisation (ProChrist, Christival)
Ring missionarischer Jugendbewegungen (RMJ)
Christlicher Medienverbund KEP
Christliche Internet-Arbeitsgemeinschaft (CINA)
Eintreten für Religionsfreiheit
CVJM, EC, Christlicher Studentenweltbund
Evangeliumsrundfunk (ERF seit 1959)
Arbeitsgemeinschaft evangelikaler Missionen (AEM)
Institut für Islamfragen (Dr. Christine Schirrmacher)
Idea-Nachrichtenagentur
Weltweite soziale Hilfe (CFI, Hilfe für Brüder)
SPRING - Gemeindeferienfestival
Internationale Verflechtungen
Die meisten nationalen Evangelischen Allianzen sind in der 1951 gegründeten World Evangelical Alliance (WEA) zusammengeschlossen. Da einige europäische Verbände mit der Formulierung der biblischen Irrtumslosigkeit in der Glaubensbasis Schwierigkeiten hatten (und lieber bei der 1846 verfassten ursprünglichen Glaubensgrundlage blieben), kam es zur Gründung der Europäischen Evangelischen Allianz (EEA, 1952 mit der Bundesrepublik Deutschland, Schweiz, Österreich, Dänemark, Norwegen und Schweden), welche erst 1968 in Lausanne in die WEA aufgenommen wurde (unter Beibehaltung der theologischen Vorbehalte). 1976 kam es zur Gründung des Fellowship of European Evangelical Theologians (FEET), welcher sich in bewusster bibelfreundlicher Haltung um die theologischen Fragen der evangelikalen Kirchen kümmern wollen. Heute sieht die Internationale Evangelische Allianz die Lausanner Verpflichtung von 1974 und das Manifest von Manila von 1989 auch als grundlegende Dokumente an.