Forschungsstelle Neupietismus
Grundinformationen zum Neupietismus
Der Deutsche Gemeinschafts-Diakonieverband
Die Entstehung des DGD und seiner Einrichtungen
1. Die Heiligungsbewegung erreicht Westpreußen
Die Provinz Westpreußen umfasste im Deutschen Reich von 1871 das Gebiet zwischen Pommern und Ostpreußen mit Danzig als Hauptstadt an der Ostseeküste. Diese Gegend war in seiner Geschichte nur vereinzelt von Erweckungs-Einflüssen erreicht worden, so dass es um 1870 so gut wie keine pietistischen Konventikel mehr gab. Ab 1880 kamen dann vermehrt Prediger in diese Gegend, die von der Heiligungsbewegung geprägt waren. Dies waren zum einen Chrischona-Prediger, die Landeskirchliche Gemeinschaften gründeten und zum anderen Methodistenprediger, die methodistische Freikirchen aufbauten. Als Theophil Krawielitzki im Jahr 1894 Pfarrer des Städtchens Vandsburg wurde, hatten dort schon diese beiden Ausdrucksformen der Heiligungsbewegung Fuß gefasst.
2. Theophil Krawielitzki (1866-1942)
Theophil Krawielitzki wurde am 22.6.1866 als einziges Kind einer westpreußischen Pfarrersfamilie geboren. Er studierte in Berlin und Königsberg Theologie und wurde im Herbst 1894 zum Pfarrer der 3000 Einwohner zählenden Kleinstadt Vandsburg berufen, wo er kurz darauf auch Thusnelda von Kolkow heiratete. Hier hatte der Ortspfarrer im Sommer 1893 entnervt das Handtuch geworfen, weil es ständig Streit mit Gemeinschaftsleuten gab, denen die Arbeit der Kirchengemeinde nicht fromm genug war. Gleichzeitig wanderten immer mehr Gemeindeglieder in die neu erbaute Methodistenkirche in Vandsburg ab, die mittlerweile schon 250 Gottesdienstbesucher zählte.
Krawielitzki bekam nun von der Kirchenleitung ausdrücklich den Auftrag, dieses „Sektenwesen“ der Methodisten zu stoppen. Dazu verbündete er sich zunächst mit dem innerkirchlichen Flügel der Heiligungsbewegung und besuchte die Gemeinschaftsstunden. Dies führte dazu, dass er nach einem Jahr, im November 1895, ein Bekehrungserlebnis hatte und selbst ein Anhänger der Gemeinschaftsbewegung wurde. Nun ging er mit Feuereifer daran, seine Gemeinde im Geist der Heiligungsbewegung zu prägen und wurde in wenigen Jahren zur führenden Gestalt der westpreußischen Gemeinschaftsbewegung. Die Methodistenkirche am Ort verlor bald fast alle Besucher, da man das Gleiche nun auch haben konnte, ohne aus der Kirche auszutreten.
3. Ferdinand Blazejewski (1862-1900)
Carl Ferdinand Blazejewski wurde am 17.1.1862 in Westpreußen geboren, studierte Theologie in Halle und Münster, heiratete 1890 die Niederländerin Wilhelmina de Campagne, und übernahm nach einer kurzen Zeit als Marinepfarrer schließlich 1892 ein kleines Pfarramt im ostpreußischen Borken (heute an der polnisch-russischen Grenze). Hier kam es auch bei ihm schon bald zu einem Bekehrungserlebnis, was dazu führte, dass Blazejewski zu einem radikalen Bekehrungs- und Heiligungsprediger wurde. Dies rief allerdings großen Widerstand von Gemeindegliedern und Pfarrern in Ostpreußen hervor, so dass es 1897 sogar zu einem kirchlichen Verfahren gegen Blazejewski kam. Er konnte seine Stelle aber behalten und wurde die führende Gestalt der ostpreußischen Gemeinschaftsbewegung.
4. Die Gründung des Borkener Mutterhauses 1899
Anfang Februar 1899 fand in Danzig die erste westpreußische Gemeinschaftskonferenz statt. Die leitenden Pfarrer (Blazejewski, Krawielitzki, Jonathan Paul u.a.) wurden hier auf ein gemeinsames Problem aufmerksam: Überall in den Kirchengemeinden der betreffenden Pfarrer meldeten sich junge Frauen, die gerne Diakonissen werden wollten. Sie wurden in bestehende Diakonissen-Mutterhäuser geschickt, hatten dort aber mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen und traten vielfach schon bald wieder aus, weil sie sich mit ihrer Heiligungsfrömmigkeit dort kaum verstanden wussten. Immer drängender erschien das Bedürfnis nach einem Schwesternhaus in der Prägung der Heiligungsbewegung. Deshalb beschloss man, dass Blazejewski die Gründung eines Gemeinschafts-Schwesternhauses in Angriff nehmen sollte. Nach einer Studienreise und einem öffentlichen Aufruf zur Unterstützung des Plans, nahm Familie Blazejewski (mit drei Kindern) am 20.10.1899 die ersten vier Frauen in ihr Borkener Pfarrhaus zur Schwesternausbildung auf. Nach einem halben Jahr waren es schon 9 Schwestern. Im Mai 1900 erkrankte Blazejewski schwer, lehnte aber alle ärztliche Hilfe aus Glaubensgründen ab und verstarb am Himmelfahrtstag, dem 24.5.1900.
5. Der Umzug nach Vandsburg 1900
Nun fühlte sich Theophil Krawielitzki für die kleine Schwesterngemeinschaft verantwortlich. Er ließ kurzerhand in Vandsburg ein Mutterhausgebäude mit 20 Plätzen errichten, so dass die Schwestern und Frau Blazejewski im November 1900 nach Vandsburg umziehen konnten. Das besondere Charakteristikum der Vandsburger Schwestern war die ausdrückliche Priorität der evangelistischen vor der diakonischen Arbeit. Krawielitzki legte als Grundsatz fest: “Bei aller Arbeit steht in erster Linie Seelengewinnung und Seelenpflege. Aller Liebesdienst, der nicht vor allem auf Seelenrettung abzielt, hat nach unserer Überzeugung biblisch das Recht verloren, sich ‘christlich’ zu nennen, weil Jesus das als seine und seiner Jünger einzige Lebensaufgabe bezeichnet hat.“Nach dem Umzug nach Vandsburg kam es ziemlich schnell zu einem sehr starken Wachstum. Drei Jahre später gab es schon 60 Schwestern und nach fünf Jahren bereits 120, so dass ein großer neuer Flügel an das Mutterhaus angebaut werden musste. Frau Blazejewski schied 1903 aus der Arbeit aus und Krawielitzki legte Ende 1906 schließlich sein Pfarramt nieder, um sich ganz der Schwesternarbeit zu widmen, die immer größere Ausmaße annahm. Ständig wurden neue Gebäude gebaut oder Nachbargrundstücke gekauft, so dass die Straße, die an dem schließlich 50 Hektar großen Mutterhausgelände vorbeiführte, im Volksmund bald die „Millionenstraße“ genannt wurde, weil man sich nicht erklären konnte, woher die Schwestern so viel Geld hatten.
6. Das Gemeinschafts-Brüderhaus in Vandsburg 1906-1909
Nachdem sich im Jahr 1903 die Gemeinschaftsverbände Ost- und Westpreußens zusammen geschlossen hatten, plante man die Gründung eines Gemeinschafts-Brüderhauses für Ostdeutschland. Damit wurde Krawielitzkis Mitarbeiter Pfarrer Carl Lange beauftragt. Eigentlich suchte man einen Gründungsort außerhalb Vandsburgs, da aber kein geeignetes Gelände gefunden wurde, nahm man Krawielitzkis Angebot an und bezog im Oktober 1906 ein Gebäude auf dem Vandsburger Mutterhaus-Gelände. Hier sollten junge Männer für Evangelisation, Sozialarbeit, Gemeinschaftsarbeit und Predigtdienst in der ostdeutschen Gemeinschaftsbewegung ausgebildet werden. Am 30.11.1906 wurde Carl Lange als Leiter eingesegnet und begann mit 12 jungen Männern die Ausbildung. Die Versorgung durch das Mutterhaus erleichterte den Aufbau der Arbeit. Dennoch kam es schon bald zu Spannungen, da Carl Lange eher eine altpietistisch-lutherische Theologie vertrat (Erlösung heißt vor allem Vergebung!), während Krawielitzki stark die neupietistisch-methodistische Linie betonte (Erlösung heißt vor allem, dass echte Heiligung möglich ist!). Deshalb waren beide Seiten dankbar, dass die Brüderhausarbeit organisatorisch völlig selbständig werden und am 1.10.1909 nach Preußisch-Bahnau in Ostpreußen umziehen konnte. Seitdem spricht man von der „Bahnauer Bruderschaft“. Durch die Ereignisse des 2.Weltkriegs siedelte man 1945 nach Unterweissach in Württemberg um, wo die Arbeit heute noch besteht.
7. Das Mutterhaus Hebron in Marburg 1908
Schon 1903 hatte Krawielitzki davon gesprochen, dass er zweites Mutterhaus gründen würde, sobald die Schwesternzahl in Vandsburg 200 übersteigt. Diese Zahl wurde dann bereits 1907 erreicht, so dass nach einem geeigneten Ort für eine Neugründung gesucht wurde. Marburg bot sich dafür in besonderer Weise an, da man hier seit 1904 schon ein eigenes „Versorgungshaus“ besaß, in dem alleinerziehende junge Frauen mit ihren Kleinkindern betreut wurden. 1907 war daneben ein neues Kinderheim mit dem Namen „Hebron“ gebaut worden, in dem es noch viel Platz gab. So entschloss man sich, das obere Stockwerk des Kinderheims zum Diakonissen-Mutterhaus „Hebron“ umzufunktionieren. Neben den 10 schon in Marburg stationierten Schwestern zogen im Oktober 1908 weitere 27 Schwestern nach Marburg, so dass am 1.11.1908 das neue Mutterhaus Hebron offiziell gegründet werden konnte. Erste Hausmutter wurde Emilie Losereit. Sie war eine der ersten vier Schwestern in Borken gewesen und war auch die erste Schwester, die schon 1902 in die Versorgungshausarbeit nach Marburg gesandt worden war. Um die Neugründung besser begleiten zu können, zog auch Familie Krawielitzki im Oktober 1908 auf das neue Mutterhausgelände in Marburg. Die tägliche Leitungsarbeit im Vandsburger Stamm-Mutterhaus übernahm nun Schwester Emilie Siekmeier. Zur Versorgung des neuen Mutterhauses baute man im nahe gelegenen Wehrda einen Wirtschaftshof auf, auf dem schließlich auch ein großer Mutterhaus-Neubau errichtet werden konnte, in den die Schwestern 1916 einziehen konnten.
8. Das Brüderhaus TABOR in Marburg 1909
Als im Frühjahr 1909 klar wurde, dass das Vandsburger Brüderhaus nach Preußisch-Bahnau umziehen würde, stand Krawielitzki vor der Frage einer eigenen Brüderhaus-Gründung, denn er brauchte immer dringender männliche Mitarbeiter in der Prägung seiner Schwestern. Als in dieser Situation drei junge Männer aus Delmenhorst mit der Bitte um eine Ausbildungsmöglichkeit an ihn herantraten, entschloss sich Krawielitzki zu einer Neugründung in Marburg. Dies war weit genug von Preußisch-Bahnau entfernt, so dass es nicht als Konkurrenz wahrgenommen wurde, und außerdem war Krawielitzki hier vor Ort und konnte den Aufbau begleiten. Am 1.5.1909 nahm das Brüderhaus TABOR mit der Ankunft des 16-Jährigen Karl Waldeck auf dem Gelände des neuen Wirtschaftshofes des Mutterhauses Hebron in Marburg-Wehrda seinen Anfang. Das Brüderhaus TABOR hatte eine sehr schwere Startphase. Zum einen versuchte man die Brüder zunächst ganz wie Diakonissen zu erziehen, was zu vielen Austritten führte, und dann begann im fünften Jahr plötzlich der 1. Weltkrieg, in dem fast alle Brüder zum Militär eingezogen wurden. Am Ende des Krieges, nach knapp 10 Jahren, bestand die gesamte TABOR-Bruderschaft aus nur 24 Männern. Danach aber gab es einen großen Aufschwung. 1921 wurde Leonhard Eckart zum Leiter der Arbeit ernannt. Unter ihm wurde die Öffentlichkeitsarbeit von TABOR gezielt verstärkt. Die Brüderzahl expandierte bis 1924 auf fast 100, so dass man sich entschloss, auf ein eigenes Gelände am Marburger Ortenberg zu ziehen. Hier wurde zunächst ab 1921 ein Wirtschaftshof aufgebaut. Im Januar 1924 zog dann die gesamte Bruderschaft auf das Gelände und errichtete in Eigenleistung ein neues Brüderhaus, das dann im November 1925 bezogen werden konnte (heute ist dies Haus 2 des Gästehauses Tabor und Campuswohnen 2). Von 1924-1931 wurde TABOR von Erich Dohne geleitet. Er gab der theologischen Ausbildung der Brüder ein eigenes Profil, verlängerte sie auf drei Jahre und setzte sie damit deutlich von der Schwesternausbildung ab. Anfang der dreißiger Jahre stieg die Brüderzahl trotz gleichzeitiger hoher Austrittszahlen auf 200. Unter der Führung von Robert Seitz, der von 1931-1958 die Leitung TABORs übernahm, wurde dann eine vierjährige Ausbildung eingeführt. Trotz der verbesserten Ausbildung standen die Brüder im werkinternen Ansehen bis zum 2. Weltkrieg deutlich unter den Schwestern. Sie wurden vielfach nur als eine Art männlicher Hilfsschwestern für körperlich schwere Aufgaben oder Diensten an Männern gesehen.
9. Das Mutterhaus Hensoltshöhe in Gunzenhausen 1909
Ernest Mehl (1836-1912), ein Augsburger Fabrikant, hatte 1903 zwei Vandsburger Schwestern zur seelsorgerlichen und krankenpflegerischen Betreuung der Arbeiterfamilien seiner Kammgarnspinnerei nach Augsburg geholt. Er war von ihrer Arbeit so beeindruckt, dass er Theophil Krawielitzki im Jahr 1908 bat, ein eigenes Mutterhaus für Bayern zu gründen. Zu diesem Zweck schenkte er dem Vandsburger Werk das Gelände der so genannten Hensoltshöhe im fränkischen Gunzenhausen, wo Mehl schon ein geistliches Erholungsheim und Konferenzzentrum aufgebaut hatte. Am 1.5.1909 wurde hier das dritte Gemeinschafts-Schwesternhaus des jungen Werkes offiziell gegründet. Als Oberin wurde Anna Kolitz (1880-1954) eingesetzt, eine der ersten vier Borkener Schwestern. Sie blieb bis zu ihrem Tod 45 Jahre lang in diesem Amt. Das neue Mutterhaus wuchs sehr schnell. Nach drei Jahren gab es schon 56 Schwestern. Schon bald entwickelte sich die Hensoltshöhe zu einem anerkannten Konferenzzentrum, so dass 1915 das größere Erholungsheim Eden gebaut wurde und das bisherige Erholungsheim zum Mutterhaus umfunktioniert wurde. Nach anfänglichen Spannungen mit der bayrischen Landeskirche wurde 1919 eine eigene landeskirchlich anerkannte Pfarrstelle für das Mutterhaus geschaffen und Pfr. Ernst Keupp als Leiter des Mutterhauses eingesetzt. Unter seiner Leitung wuchs die Schwesternschaft von 200 Schwestern im Jahr 1919 auf 1000 Schwestern im Jahr 1948 an.
10. Der 1. Weltkrieg
Im ersten Weltkrieg wurden die meisten Taborbrüder ins Militär eingezogen. Alle drei Mutterhäuser beherbergten Lazarette und mussten darüber hinaus auch weitere Schwestern für andere Lazarette abordnen. Generell vergrößerte sich dennoch während des Krieges der Anteil derjenigen Schwestern, die in vorrangig evangelistischer Seelsorge- und Gemeindearbeit eingesetzt waren. Auch andere Gnadauer Verbände begannen nun Schwestern des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbands (DGD) anzustellen, wie man sich seit 1916 inoffiziell und seit 1922 dann auch offiziell nannte.
11. Das Mutterhaus Neuvandsburg in Elbingerode 1921
Nach der deutschen Kriegsniederlage zeichnete sich seit Mai 1919 als Konsequenz des Versailler Vertrages ab, dass mit einem großen Teil Westpreußens auch Vandsburg bald zu Polen gehören würde, was am 23.1.1920 auch tatsächlich geschah. Vandsburg lag nun 12 Kilometer jenseits der deutschen Grenze. Kurz vorher hatte sich die Vandsburger Schwesternschaft aufgeteilt. 120 der 400 Schwestern blieben in Vandsburg und hofften auf eine lebbare Zukunft im katholisch dominierten Polen. Der größere Teil der Schwesternschaft begab sich auf die Suche nach einer neuen Heimat im Deutschen Reich. Zunächst zog man nach Berlin-Schlachtensee, bekam dort aber schon bald Raumnot. Deshalb zog man im April 1920 in das Haus Felsengrund nach Rathen an der Elbe, wo es allerdings zu massiven Konflikten mit dem Sächsischen Gemeinschaftsverband kam. Deshalb kaufte Krawielitzki schließlich ein Erholungsheim in Elbingerode im Harz, wo das Mutterhaus Neuvandsburg schließlich im März 1921 sein Zuhause fand.
12. Das zweite Brüderhaus in Vandsburg 1921-1945
Durch die Gründung des polnischen Staates im Januar 1920 waren die dortigen Gemeinschaftsarbeiten plötzlich von allen Gnadauer Brüderhäusern abgeschnitten. Schnell kam es zu einem großen Mangel an Predigern, die auf polnischem Gebiet arbeiten konnten, da Reichsdeutsche keine Arbeitserlaubnis in Polen erhielten. Deshalb beschloss der Zentral-Ausschuss der evangelischen kirchlichen Gemeinschaftspflege und Evangelisation in Polen und Danzig (= der dortige „Gnadauer Verband“) ein neues Brüderhaus auf polnischem Gebiet zu gründen. Aus pragmatischen Gründen wurde das Brüderhaus am 4.11.1921 auf dem Gelände des Vandsburger Mutterhauses (aber rechtlich eigenständig) eröffnet und zunächst vier Jahre lang vom Chrischonabruder Otto Hoff geleitet, der eine etwas distanzierte Linie gegenüber dem Vandsburger Werk prägte. Dies änderte sich als Pfr. Gustav Lassahn Ende 1925 die Leitung übernahm und das Brüderhaus ganz im Geist Krawielitzkis prägte. 1928 wurde im zwei Kilometer entfernten Wittun ein landwirtschaftliches Anwesen erworben und 1935 zog dann das gesamte Brüderhaus dorthin um. Der 2.Weltkrieg beendete dann die Arbeit des Brüderhauses Vandsburg-Wittun, da nach und nach fast alle Brüder zur Wehrmacht eingezogen wurden. Im Januar 1945 wurde das Haus aufgegeben. Die nach Kriegsende verbliebenen Vandsburger Brüder wurden in die TABOR-Bruderschaft aufgenommen.
13. Die DGD-Gemeinschaftsverbände
Die Arbeit der Vandsburger Diakonissen zielte von Beginn an neben aller diakonischen Tätigkeit vor allem auf Seelengewinnung und Seelenpflege. Dies führte dazu, dass an vielen Orten die Schwestern Kreise von Gläubigen um sich bildeten, die sich im Lauf der Zeit zu einer Landeskirchlichen Gemeinschaft zusammenschlossen. Zunächst suchten diese Gemeinschaften den Kontakt mit bestehenden Gemeinschaftsverbänden, doch mit der Zeit wurde deutlich, dass die Gemeinschaften der Vandsburger Schwestern ein anderes Gepräge besaßen. Sie legten den Schwerpunkt ihrer Arbeit weitaus stärker auf Evangelisation und Heiligung, als die älteren Gemeinschaftsverbände. Deshalb entschloss man sich in den zwanziger Jahren nach und nach zur Gründung von neun regional verteilten eigenen DGD-Gemeinschaftsverbänden, die Anfang der dreißiger Jahre insgesamt 10.000 Mitglieder umfassten. Die Gemeinschaftsverbände waren alle der Hauptstelle des DGD in Marburg unterstellt und wurden von Krawielitzki zentral geleitet. Im Jahr 2006 schlossen sich die noch bestehenden sieben Verbände zum „Bund evangelischer Gemeinschaften“ zusammen, in welchem heute ca. 7000 erwachsene Mitglieder organisiert sind.
14. Das Missionshaus Lachen 1932
Nachdem schon seit 1909 Vandsburger Schwestern nach China ausgesandt worden waren und Anfang der dreißiger Jahre auch die ersten Brüder für den Dienst in Brasilien ausgebildet wurden, wollte man ein eigenes Ausbildungszentrum für Schwestern und Brüder schaffen, die in ins Ausland gehen sollten. Dazu erwarb man in Lachen-Speyerdorf bei Neustadt an der Weinstraße am 16.3.1932 ein Grundstück von 14,5 ha eine 1924 erbaute leerstehende französische Kaserne und baute sie zum Missionshaus Lachen um. Das Gelände erschien Krawielitzki auch deswegen attraktiv, da es direkt neben einem kleinen Flugplatz gelegen lag, was als Möglichkeit für eine problemlose Ausreise gesehen wurde. Die Leitung des Hauses übernahm am 12.5.1934 Schwester Marie Fuchser aus dem seit einigen Jahren bestehenden Diakonissen-Mutterhaus Ländli in der Schweiz. Auch die Finanzierung des Projekts wurde durch eine schweizer Hypothek gesichert, weshalb das Gelände in der NS-Zeit nicht beschlagnahmt werden konnte. Doch aus dem Projekt Missionshaus wurde nichts. Gerade als die ersten Lachener Schwestern und Brüder bereit zur Ausreise waren, brach der 2.Weltkrieg los und verhinderte alle Reisepläne. Erst 1946 konnte die erste Lachener Schwester nach China ausreisen. In den Jahren nach dem 2.Weltkrieg übernahm TABORdann die Ausbildung von Männern zum Missionsdienst und in Lachen traten immer mehr Schwestern ein, die ihre Perspektive in Deutschland sahen, so dass aus dem Missionshaus ein Diakonissen-Mutterhaus wurde.
15. Der DGD im Dritten Reich
In der Zeit des Dritten Reichs bezog der DGD keine ablehnende Stellung zum Nationalsozialismus. Nachdem sich zu Beginn einige leitende Mitarbeiter des DGD sogar den Deutschen Christen angeschlossen hatten und generell den Werkgliedern empfohlen wurde, in NS-Organisationen einzutreten und in ihnen mitzuarbeiten, nahm man von solch einer bewussten Unterstützung des Nationalsozialismus zwar ab Ende 1934 Abstand, blieb aber auf einem bewusst neutralen Kurs und kooperierte auf vielen Gebieten mit dem nationalsozialistischen Staat. Schon im April 1933 schrieb Krawielitzki an Walter Michaelis: „Und ich meine, je weniger wir bedenklich und ablehnend beiseite stehen, desto mehr Freiheit werden wir später haben für wirkliche Missionsarbeit zur Seelengewinnung.“ Auch als diese Träume scheiterten, behielt die Erhaltung der evangelistischen Möglichkeiten oberste Priorität. Die Motivation für den bewusst nicht anti-nationalsozialistischen, sondern neutralen Kurs des DGD im Dritten Reich war dann auch nicht die Angst vor einer drohenden Auflösung des Werks, sondern die Wahrung der besten Möglichkeiten zur Seelenrettungs-Arbeit. Dieses oberste Ziel des DGD bestimmte gerade im Dritten Reich viele wichtige Entscheidungen und führte schließlich auch 1935 zum Austritt aus dem Gnadauer Verband. 1946 wurde man wieder in den Gnadauer Verband aufgenommen, nach dem man unter anderem offiziell erklärt hatte: „Der leitende Gesichtspunkt in Fragen der verschiedenen Reichsgottesarbeiten ist nicht Seelenrettung um jeden Preis, sondern der Wille Gottes um jeden Preis.“ Nachdem einzelne leitende Mitarbeiter des DGD nach dem 2. Weltkrieg in verschiedener Weise Schuld bekannt und um Vergebung gebeten hatten, veröffentlichte der DGD 1999, zum 100-jährigen Jubiläum, schließlich ein allgemeines Eingeständnis der Schuldverstrickung in der Zeit des Nationalsozialismus.
16. Das Mutterhaus "Altvandsburg" in Lemförde 1945
Im Januar 1945 wurde Vandsburg von russischen Truppen eingenommen. Die Schwesternschaft flüchtete und fand schließlich in Lemförde, im westlichen Niedersachsen, ein neues Zuhause. Hier besteht bis heute das Mutterhaus „Altvandsburg“.
17. Das Mutterhaus "Bleibergquelle" in Velbert 1945
Elbingerode im Harz wurde im April 1945 von amerikanischen Truppen eingenommen. Allerdings einigten sich die Siegermächte, dass dieser Teil des Harzes und Thüringen zum 1.7.45 mit den Russen gegen die amerikanische Besatzungszone Berlins getauscht würde. In dieser Situation beschloss man, die Schwesternschaft wieder einmal zu teilen. Die Schwestern durften wählen, ob sie in Elbingerode bleiben oder in Westdeutschland einen neuen Anfang wagen wollten. Genau die Hälfte, nämlich 600 Schwestern, zogen dann Velbert und bauten dort das neue Mutterhaus „Neuvandsburg-West“ auf. Am 1.11.1945 konnte das Gelände der Bleibergquelle gepachtet und dann 1950 schließlich gekauft werden.
18. Inwiefern prägte es den DGD, dass er in Westpreußen entstand?
In Westpreußen gab es um 1875 keine altpietistischen Gemeinschaften. Es war ein Gebiet ohne lebendige pietistische Tradition. Als nun in dieser Gegend die Theologie der angloamerikanischen Heiligungsbewegung populär wurde, da übernahm man diese nahezu unverändert, da man keine andere Form von entschiedenem Christentum kannte. So war es bei Blazejewski und Krawielitzki selbst und bei der ersten Vandsburger Generation. Kaum ein anderes pietistisches Werk in Deutschland übernahm Stockmayers Heiligungstheologie und aus dem Englischen übersetzte Heiligungslieder so schnell, wie der DGD. Da hier keine altpietistischen Grundstrukturen in Theologie und Frömmigkeit vorhanden waren, wurde man ein radikal neupietistisches Werk.
19. Wie unterschied sich der DGD von den bestehenden Gnadauer Verbänden?
Der vor der Gemeinschaftsbewegung bestehende Pietismus in Deutschland war vom Barockpietismus (Spener, Francke, Zinzendorf) im 17./18. Jahrhundert angestoßen und von der Erweckungsbewegung um 1830 (Hofacker, Wichern, Harms) noch einmal belebt worden. Dieser „Altpietismus“ war formal und inhaltlich durch die Einrichtung der so genannten „Bibelstunde“ charakterisiert, d.h. dass Menschen, die eine persönliche Bekehrung erlebt hatten, sich neben dem kirchlichen Gottesdienst noch zum offenen Austausch über Bibeltexte und Gebet trafen. Die angloamerikanische Heiligungsbewegung stellte ab 1875 die Themen Evangelisation und Heiligung in den Mittelpunkt. Dies belebte viele bestehenden Bibelstunden. Sie integrierten die Anliegen der Evangelisation und Heiligung in ihre inhaltliche Arbeit und organisierten sich als Landeskirchliche Gemeinschaften. So kam es zur Entstehung von „neupietistischen“ Gemeinschaftsverbänden in den meisten Regionen Deutschlands. Als die Schwestern des DGD eine Generation später eigene Gemeinschaften gründeten, wurde eine inhaltliche Akzentverschiebung offensichtlich. Da der DGD nicht auf eine altpietistische Tradition aufbaute, stellte er nicht die Themen Bibel und Gemeinschaft in den Mittelpunkt, sondern konzentrierte sich vor allem auf die Fragen der Evangelisation und Heiligung. Diese Prägung besaß neben dem DGD auch noch St.Chrischona (C.H. Rappard) und Liebenzell (H.Coerper). Diese Werke wurden bald innerhalb Gnadaus als „neupietistisch“ bezeichnet, im Gegensatz zu den anderen „altpietistischen“ Verbänden. Dies war bis 1945 eine starke Spannung innerhalb des Gnadauer Verbandes.
20. Was waren die Kernanliegen des DGD?
Jede Gruppierung definiert sich durch die Annahme einer Grundunterscheidung, eines Leitcodes. Der Grund-Leitcode der christlichen Kirche ist die Unterscheidung getauft-nicht getauft. Nur wer getauft ist, wird als Mitglied der Kirche gesehen. Der Pietismus brachte einen zweiten, zusätzlichen Leitcode ein, nämlich die Unterscheidung bekehrt-unbekehrt. Nicht jeder, der getauft ist, sondern nur wer eine Bekehrung erlebt hat, wird aus Sicht des Pietismus als wahrer Christ gesehen. Diese Ansicht bildet die Grundüberzeugung aller Werke des Gnadauer Verbandes. Die Heiligungsbewegung und mit ihr der DGD brachte nun noch eine weitere Leitunterscheidung ein, nämlich den Leitcode geheiligt-nur bekehrt. Man ging von der Auffassung aus, dass nur der als „wahrer Christ“ gelten kann, der nach seiner Bekehrung einen bestimmten Heiligungsstand erreicht. So sagte Krawielitzki auf der Gnadauer Pfingstkonferenz 1908: „Zu der Gemeinde Gottes, zum Leibe Jesu Christi, gehören nicht alle Erretteten, sondern nur die, welche als mit Christo Gekreuzigte, Gestorbene und Auferstandene zielbewusst unter den Leiden dieser Zeit in sein Ebenbild sich ausgestalten lassen.“ Damit wurde unter den bekehrten Gnadauern eine grundsätzliche Zwei-Klassen-Sicht eingeführt, die natürlich enorme Spannungen mit sich brachte. Entscheidend war dabei die Frage, woran der „Geheiligte“ erkannt werden kann. Dies waren aus der Sicht der Heiligungsbewegung zwei Dinge:
Das Siegesleben: Einem geheiligten Menschen sollte es in der Kraft des Heiligen Geistes gelingen, sündige Verhaltensweisen dauerhaft abzulegen.
Der evangelistische Erfolg: Ein geheiligter Mensch würde auf jeden Fall von Gott zur Seelenrettung gebraucht. Nur, wenn man vorweisen konnte, dass Menschen sich durch einen bekehrt haben, konnte man sich seines Heiligungsstandes sicher sein.
Aus dieser Grundüberzeugung schrieb Krawielitzki 1929 in die Berufsordnung der Schwestern die Sätze: „Wie tief müssen doch die meisten Kinder Gottes, auch Reichsgottesarbeiter, im inneren Ungehorsam stecken, wenn gewöhnlich nur wenige Seelen in ihrer Umgebung gerettet und innerlich weiter gebracht werden. Wir wissen, dass das eine Schuld der betreffenden bekehrten Seele ist. Denn Gott will seinen heiligen Geist ausgießen über alles Fleisch. Ein Bekehrter, dem die Fülle des heiligen Geistes fehlt, und der darum kein Siegesleben hat und keine Seelen gewinnt, hat in jedem Fall ein ungereinigtes Herz.“ Heiligung wurde also als Grundvoraussetzung der Evangelisation angesehen. Hier bestand ein untrennbarer Zusammenhang. Weil der DGD die Evangelisation betonte, musste er die Heiligung betonen. Und diese Betonung, so erwartete man, musste automatisch zu evangelistischem Erfolg führen. Jeder Bekehrte wurde durch „Seelenpflege“ in die Heiligung hineingeführt, um wieder selbst zum Seelenretter zu werden: „Gerettetsein gibt Rettersinn!“
21. Warum wuchs der DGD so schnell?
Um 1930, also nach gerade mal drei Jahrzehnten war aus der kleinen Schwesterngemeinschaft im Borkener Pfarrhaus ein großer Konzern mit ca. 4000 Diakonissen und 300 Brüdern geworden. Dazu kamen 10.000 erwachsene Mitglieder in Landeskirchlichen Gemeinschaften, und noch einmal doppelt so viele Freunde, Jugendliche und Kinder, womit der DGD zum größten Werk im Gnadauer Verband avancierte. Wie lässt sich dieses große und schnelle Wachstum erklären?
Diakonisse war ein attraktiver Beruf: Um 1900 gab es für ledige Frauen noch kaum berufliche Alternativen. Das Leben als Diakonisse brachte Versorgung, Gemeinschaft und eine sinnvolle Beschäftigung. Dies wirkte um so mehr, als nach den beiden Weltkriegen durch den Frauenüberschuss viele Frauen zu einer Zukunft ohne Familie gezwungen waren.
Der Bedarf an Pflegekräften: Um 1900 war der deutsche Sozialstaat mitten im Aufbau. Man brauchte viele Krankenschwestern und Erzieherinnen. Es war deshalb nie ein Problem geeignete Arbeitsplätze für Diakonissen zu finden.
Die Monopolstellung: Die DGD-Schwesternhäuser blieben in den ersten zwei Jahrzehnten fast konkurrenzlos. Es gab kaum ähnliche neupietistische Einrichtungen. Jedes Mädchen, das stärker von der Heiligungsbewegung geprägt war, z.B. durch den EC, stand Vandsburg innerlich viel näher als allen anderen Häusern! 1933 gehörten etwa zwei Drittel aller Diakonissen im Gnadauer Verband zum DGD.
Diakonie ist evangelistisch nutzbar: Man war als Diakonisse ständig in Kontakt mit Menschen, und diese Menschen waren zunächst einmal dankbar für die äußere diakonische Hilfe und das öffnete dann oft auch ihr Herz für das Evangelium. Dadurch wurden viele Menschen für die eigenen Gemeinschaften gewonnen und viele junge Mädchen entschieden sich dann wieder für ein Leben als Schwester.
Die vorbildhafte Arbeit: Der DGD war preußisch geprägt. Man arbeitete sehr zielstrebig, hingebungsvoll, pünktlich, sauber und genau. Darin war man im DGD immer Spitze. Man hat viel geleistet für die Menschen, was die Attraktivität für Bewerberinnen steigerte.
22. Der DGD heute
Seit 1945 existieren in Deutschland neben der Studien- und Lebensgemeinschaft TABOR die sechs Diakonissen-Mutterhäuser in Marburg, Gunzenhausen, Elbingerode, Lachen, Lemförde und Velbert. Dazu kommen die ausländischen Mutterhäuser „Ländli“ in der Schweiz (1924), „Liberty Corner“ in den USA (1933), Amerongen in den Niederlanden (1935), Curitiba in Brasilien (1985) Rubengera in Ruanda (1985) und Kobe in Japan (1985). Dazu kommen der Bund evangelischer Gemeinschaften, die Stiftung Marburger Medien, die Stiftung Marburger Mission, die Francke-Buchhandlung GmbH, das Marburger Bibelseminar und 9 weitere Ausbildungseinrichtungen, 11 Tagungsheime, 15 Altenpflegeheime und 10 Krankenhäuser und Fachkliniken.
Nähere und aktuelle Informationen finden sich auf www.dgd.org
Die Entstehung der Marburger Mission
Durch die China-Inland-Mission (CIM) Hudson Taylors (1832-1905) war seit Mitte des 19. Jahrhunderts die geistliche Situation der Massenbevölkerung Chinas tief in das Bewusstsein der erweckten Kreise Europas und Amerikas eingebrannt worden.[1] 1889 begann die in Barmen gegründete Deutsche China-Allianz-Mission als erste deutschsprachige Mission im Rahmen der CIM zu arbeiten. 1895 folgte die Pilgermission St. Chrischona und 1899 die Liebenzeller Mission. Diese waren beide von der Heiligungsbewegung geprägt und sollten für die Vandsburger die entscheidenden Verbindungen nach China knüpfen.
Der Startpunkt für das Missions-Engagement des Vandsburger Werks selbst war der Aufenthalt des Chrischona-Bruders Friedrich Traub in Vandsburg.[2] Traub sollte mit der China-Inland-Mission ausreisen, kam aber vorher noch im April 1899 auf Anfrage Krawielitzkis für vier Monate nach Vandsburg um dort neben vertiefenden Sprachstudien zu predigen und Beziehungen zu knüpfen. Die gemeinsame Prägung durch Stockmayer führte schnell zu herzlichen Verbindungen, so dass die Vandsburger Gemeinde Friedrich Traub bei seiner Verabschiedung am 27.8.1899 als ihren Missionar ansah und seine Ausreise und seine spätere Tätigkeit in China finanzierte. Durch Traub lernte Krawielitzki die Grundsätze der China-Inland-Mission kennen, die auch das Vandsburger Werk stark prägen sollten.[3]. Außerdem regte Traub immer wieder dazu an, über eine eigene Vandsburger China-Mission nachzudenken. Schon 1901 schrieb er an Krawielitzki:
„Wenn der Herr uns doch auch ein eigenes Gebiet geben würde, wie es die China-Allianz-Mission in Barmen hat oder wie auch der norddeutsche Zweig der China-Inland-Mission [die spätere Liebenzeller Mission, F.L.] es bekommen wird! Vielleicht entsteht auch noch ein Vandsburger Zweig der China-Inland-Mission. Bei dem Herrn sind alle Dinge möglich.“[4]
1903 erwog man in Vandsburg zum ersten Mal, eigene Brüder und Schwestern nach China zu senden und vielleicht sogar ein chinesisches Gemeinschafts-Schwestern- und Brüderhaus zu gründen.[5] Doch noch ehe die Pläne zur Ausführung reiften, erkrankte Traub an Typhus und starb am 8.2.1906. Daraufhin holte Krawielitzki noch genauere Informationen über die Anforderungen für den Dienst einer Schwester in China ein und ließ, ermutigt von Spendenzusagen, Schwester Elisabeth Gramenz vom Frühjahr 1907 an für diesen Dienst ausbilden. Im Juli 1908 ging sie nach Liebenzell und 1909 noch für einige Monate nach London, bevor sie schließlich im September 1909 über Genua nach Shanghai reiste und dort in Zusammenarbeit mit der Liebenzeller Mission (die mit der China-Inland-Mission kooperierte) als erste Vandsburger Schwester die Arbeit in China aufnahm.[6] Als 1911 Anna Müller als zweite Vandsburger Diakonisse in China ankam und der DGD darauf bestand, dass beide Schwestern gemeinsam an einem Ort eingesetzt werden sollten, wurde ihnen im Juni 1912 die Station Taohwaping in der Provinz Hunan zugeteilt, wo sie eine Elementarschule errichteten und drei Außenstationen aufbauten. Im gleichen Jahr begannen auch Berta Preisinger und Margarete Kannenberg ihre Arbeit in China, zunächst von 1912-1918 in Yüanchow, bevor sie dann auch zu den anderen Schwestern nach Taohwaping übersiedeln konnten. Neben pädagogischen Initiativen und intensiver medizinischer Arbeit unter der chinesischen Bevölkerung und unter den Liebenzeller Missionarsfamilien bildeten Evangelisation und Gemeindeaufbau das Hauptziel der Schwestern, die in den 18 Jahren Zusammenarbeit mit der Liebenzeller Mission in der Provinz Hunan etwa 300 Menschen tauften.[7] Die Station Taohwaping entwickelte sich langsam zu einer blühenden DGD-Enklave inmitten des Liebenzeller Missionsgebiets. Als man im DGDschließlich die Zeit gekommen sah, eine rechtlich selbständige China-Mission zu gründen, verweigerten die Liebenzeller die Anerkennung von Taohwaping als DGD-Gebiet. Stattdessen musste die Station ganz in Liebenzeller Hände übergeben werden, und der DGD bekam 1928 mit der Provinz Yünnan ein eigenes Arbeitsgebiet als Vandsburger Mission im Verband der China-Inland-Mission (Yünnan-Mission).[8] Die DGD-Diakonissen siedelten im Dezember 1928 mit der ersten chinesischen Schwester Hanna Liu dorthin über.[9] In Marburg hatte man unterdessen im September 1927 eine eigene Missions-Hauptstelle unter der Leitung von Schwester Gertrud Mehl gegründet. Da man als selbständige Missionsgesellschaft nun auch für die Ausbildung selbst verantwortlich war, wurde schon bald für die sich zur Ausreise nach China vorbereitenden Schwestern ein eigenes Missions-Seminar installiert. Schnell aber wurde deutlich, dass nun auch eigene männliche Mitarbeiter unbedingt nötig waren, so dass man sich im Frühjahr 1928 entschloss, die beiden Taborbrüder Eugen Wilhauck und Johannes Dietrich für eine Ausreise nach China vorzubereiten. Nach einem Vierteljahr im Marburger Missions-Seminar und einer Zeit der Sprachausbildung in England wurden Wilhauck und Dietrich am 15.9.1929 in TABOR für ihren Dienst in China ausgesandt. Im Frühjahr 1930 wurde daraufhin die Bezeichnung TABORs in Seminar für Innere und Äußere Mission verändert.[10] Die Yünnan-Mission expandierte auch in den folgenden Jahren rasant, so dass im Jahr 1939 bereits 26 Diakonissen und 10 Taborbrüder mit ihren Ehefrauen im Missionsdienst in China standen. Die kommunistische Machtübernahme führte dann aber bis zum Herbst 1951 zur Ausweisung aller Missionare und somit zu einem Ende der China-Mission des DGD.[11]